E.M. Remarque
gelassen und entspannt zu.
Das Gespräch plätscherte dahin. »Sie kennen den Après-midi d'un Faune«, sagte
Kahn. »Das hier ist ein anderer Debussy: Nachmittag eines
Eiscreme-Essers. Wir können gar nicht genug solcher Nachmittage haben. Sie
bügeln die verdrückte Seele aus. Finden Sie nicht?«
»Ich erlebe das unter Antiquitäten. Nachmittage
eines chinesischen Mandarins, kurz vor seiner Enthauptung.«
»Sie sollten lieber Nachmittage mit einem amerikanischen
Mädchen verbringen. Da Sie sie nur halb verstehen können, gewinnen Sie ohne
weitere Phantasie etwas von dem Mysterium frühester tölpelhafter Jugend zurück.
Alles, was man nicht verstehen kann, ist geheimnisvoll. Die Entzauberung der
Erfahrung unterbleibt, da es an Worten fehlt, und Sie haben die Möglichkeit,
einen kleinen Menschheitstraum zu verwirklichen: Ein Stück Leben noch einmal zu
leben mit dem Wissen der Jahre und dem zurückgeholten Schmelz der Jugend.« Kahn
lachte. »Versäumen Sie das nicht! Jeden Tag geht etwas davon dahin. Sie
verstehen immer mehr, und die Faszination wird geringer. Noch sind die Frauen
hier für Sie Südsee-Erscheinungen, umwittert von Fremde und Geheimnis –
mit jedem neuen Wort, das Sie lernen, werden sie für Sie ein bißchen mehr
Hausfrauen, Putzteufel und Konfekt. Behüten Sie Ihre zehnjährige
wiedergeschenkte Jugend. Sie werden rasch altern, in einem Jahr sind Sie
vierunddreißig!«
Kahn blickte auf seine Uhr und winkte der
Kellnerin in der blaugestreiften Schürze. »Die letzte Portion! Vanille!«
»Wir haben auch Mandel!«
»Dann Mandel! Und etwas Himbeer!« Kahn sah
mich an. »Ich verwirkliche auch einen Jugendtraum, aber einfacher als
Sie – den, soviel Eiscremes essen zu können, wie ich will. Hier kann ich
es zum ersten Mal. Es ist für mich ein Symbol von Freiheit und Sorglosigkeit.
Und das sind ja wohl Dinge, an die wir drüben nicht mehr richtig geglaubt
haben. Wie man sie sich hier beschafft, ist gleichgültig.«
Ich blinzelte in das staubige Licht der
motorenerfüllten Straße. Das Summen der Maschinen und das schlürfende Gleiten
der Reifen gaben einen monotonen Lärm, der einschläferte. »Was möchten Sie
jetzt tun?« fragte Kahn nach einer Weile.
»An nichts denken«, sagte ich. »So lange
ich kann.«
***
Lowy senior kam zu mir
herunter in den Keller unter der Straße. Er hielt eine Bronze in den Händen.
»Für was halten Sie das?«
»Was soll es sein?«
»Eine Chou-Bronze. Oder sogar Shang. Die
Patina sieht gut aus, wie?«
»Haben Sie das Stück gekauft?«
Lowy grinste. »Das würde ich nicht ohne Sie
tun. Jemand hat es gebracht. Er wartet oben im Laden. Verlangt hundert Dollar
dafür. Das heißt, er gibt es für achtzig. Scheint mir billig zu sein.«
»Zu billig«, sagte ich und betrachtete die
Bronze. »Ist der Mann ein Händler?«
»Sieht nicht so aus. Ein junger Mann,
behauptet, das Stück geerbt zu haben und Geld zu brauchen. Ist es echt?«
»Es ist eine chinesische Bronze. Aber nicht
aus der Chou-Zeit. Auch nicht Han. Eher Tang oder noch jünger. Sung oder Ming.
Eine Kopie aus der Ming-Zeit nach einem alten Stück. Man hat nicht sehr
sorgfältig kopiert. Die Tao-Tieh-Masken sind ungenau, die Spiralen passen auch
nicht dazu, sie wurden in dieser Art erst nach Han verwendet. Das Dekor ist
andererseits eine Shang-Kopie: gedrungen, einfach und stark. Doch die Vielfraßmaske
und das Füllornament müßten viel klarer und stärker sein, um aus derselben Zeit
zu stammen. Außerdem sind hier ein paar kleinere Schnörkel, wie sie in wirklich
alten Bronzen nicht vorkommen.«
»Aber die Patina! Sie ist doch sehr schön.«
»Herr Lowy«, sagte ich. »Es ist sicher eine
ziemlich alte Patina. Aber sie hat keine Malachitverkrustungen. Bedenken Sie,
daß die Chinesen schon in
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