E.M. Remarque
Tatsache, daß man mich entlassen habe, sei ein Zeichen für die
Gerechtigkeit der Deutschen.«
»Warum sind Sie entlassen worden?«
unterbrach Kahn mich.
»Weil ich kein Jude bin«, sagte ich und
ärgerte mich, es erzählt zu haben. »Den Kommerzienrat habe ich angebrüllt. Er
brüllte zurück, ich sei ein Antisemit.«
»Ich kenne diesen Typ!« sagte Kahn finster.
»Er ist nicht häufig, aber er existiert.«
»Sogar in Amerika.« Ich dachte an meinen
Anwalt. »Kuckuck«, sagte ich.
Kahn lachte und antwortete: »Kuckuck! Zum
Kuckuck mit allen Idioten in dieser Welt.«
»Unseren eigenen auch.«
»Denen zuerst. Wollen wir jetzt trotzdem
ein paar Krabben essen?«
Ich nickte. »Erlauben Sie mir, daß ich Sie
dazu einlade. Es ist ein erhebendes Gefühl, dies wieder einmal zu können.
Vermindert den Komplex, ein Gewohnheitsbettler zu sein. Oder ein Edelparasit,
wenn sie wollen.«
»Für die Verminderung des Schuldkomplexes,
am Leben zu sein, den uns unser geliebtes Vaterland eingebläut hat, ist nichts
zu gut. Ich nehme die Einladung an. Lassen Sie mich dafür eine Flasche New
Yorker Riesling zahlen, damit wir uns für kurze Zeit wie Menschen vorkommen.«
»Sind wir das hier nicht?«
»Zu neun Zehntel.« Kahn zog ein rosa Papier
aus der Tasche.
»Ein Paß!« sagte ich andächtig.
»Ein Ausweis für feindliche Ausländer«,
sagte Kahn. »Enemy alien. – Das sind wir hier.«
»Also noch immer keine vollwertigen
Menschen«, erwiderte ich und öffnete die riesige Speisekarte. »Werden wir es
jemals wieder werden?«
***
Wir gingen abends zu
Betty Stein. Sie hatte eine Berliner Sitte aufrechterhalten. Donnerstags führte
sie abends einen Salon. Jeder konnte kommen. Wer etwas Geld hatte, brachte mit,
was er hatte – eine Flasche Wein, Zigaretten oder eine Dose Würstchen. Ein
Grammophon war da mit alten Platten, Lieder von Richard Tauber und alte
Operetten von Kaiman, Lehar und Walter Kollo. Ab und zu las einer der Dichter
etwas vor, meistens diskutierte man.
»Sie meint es gut«, sagte Kahn. »Aber es
ist ein Leichenschauhaus von Toten und von Lebenden, die tot sind, ohne es zu
wissen.«
Betty war in ein altes Seidenkleid aus den
Jahren vor Hitler gekleidet. Es war voll von Rüschen und raschelte, roch nach
Mottenpulver und war violett. Ihre roten Backen, die eisengrauen Haare und die
glänzenden dunklen Augen standen in Kontrast dazu. Sie kam uns mit dicken,
ausgebreiteten Armen entgegen. Sie war so herzlich, daß man hilflos lächelte,
sie rührend und lächerlich fand und sie liebte. Sie tat so, als ob es die Zeit
seit 1933 nicht gebe. Sie mochte an anderen Tagen existieren, aber nicht am
Donnerstag. Donnerstag war man in Berlin, und die Weimarer Verfassung war noch
in Kraft.
Das große Zimmer mit der Galerie der Toten
war ziemlich voll. Wir trafen den Schauspieler Otto Wieler, der in einem Kreise
von Bewunderern stand. »Er hat Hollywood erobert!« sagte Betty voll Stolz. »Er
hat sich durchgesetzt!«
Wieler ließ sich feiern. »Was für eine
Rolle hat er?« fragte ich Betty. »Othello? Die Brüder Karamasow?«
»Eine Riesenrolle! Was, weiß ich nicht.
Aber er wird alle schlagen! Ein künftiger Clark Gable.«
»Charles Laughton«, sagte Bettys Nichte,
ein verschrumpeltes, älteres Mädchen, das Kaffee einschenkte. »Eher Charles
Laughton. Ein Charakterschauspieler.«
Kahn warf mir einen sardonischen Blick zu.
»Ganz so groß war Wieler in Europa auch nicht. Kennen Sie die Geschichte des
Mannes, der in Paris in einen Nachtklub russischer Emigranten kam? Der Besitzer
versuchte ihm zu imponieren. ›Der Portier hier‹, sagte er, ›war früher ein
General, der Kellner ein Graf, der Sänger ein Großfürst, und so weiter‹. Der
Gast schwieg. Schließlich deutete der Besitzer auf den
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