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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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wor­an du nüch­tern nie ge­dacht
hät­test. Man­che Leu­te sind im Rausch un­wi­der­steh­lich.«
    »Aber dann hät­te ich doch nichts da­von. Ich
weiß dann nichts mehr. Es wä­re dann, als wä­re es nie ge­we­sen!«
    »Wenn du dir das doch um­ge­kehrt ein­bil­den
könn­test. Als wä­re es ge­we­sen und du wüß­test nichts mehr da­von.«
    »Aber hör mal, das wä­re ja Falsch­mün­ze­rei!«
pro­tes­tier­te Lach­mann er­regt. »Man muß doch ehr­lich blei­ben!«
    »Bist du ehr­lich mit dem Te­qui­la?«
    »Ich bin ehr­lich zu mir selbst.« Lach­mann
beug­te sich an mein Ohr. Sein Atem war heiß und feucht, ob­wohl er nur Was­ser
schlürf­te. »Ich ha­be her­aus­ge­kriegt, daß In­ez nur einen stei­fen Fuß hat und
nicht am­pu­tiert ist. Sie trägt die­se Chrom­stüt­ze aus Ei­tel­keit!«
    »Aber Lach­mann!«
    »Ich weiß es. Du kennst die Frau­en nicht.
Viel­leicht will sie des­halb nicht? Da­mit ich es nicht her­aus­fin­de.«
    Ich war einen Mo­ment sprach­los. Amo­re, amour,
Blitz­schlag des Irr­tums, Hoff­nung der tiefs­ten Hoff­nungs­lo­sig­keit, sorg­lo­ses
Wun­der wei­ßer und schwar­zer Ma­gie, dach­te ich, sei ge­grüßt! Ich ver­neig­te mich
fei­er­lich. »Lie­ber Lach­mann, ich grü­ße in dir den Ster­nen­traum der Lie­be!«
    »Ach du mit dei­nen Wit­zen! Ich mei­ne es
tod­ernst.«
    Raoul hat­te sich em­por­ge­rap­pelt. »Mei­ne
Herr­schaf­ten«, sag­te er schweiß­über­strömt, »es le­be das Le­ben. Ich mei­ne: gut,
daß wir noch le­ben. Wenn ich mir vor­stel­le, daß ich mir noch vor kur­z­em die­ses
Le­ben neh­men woll­te, so könn­te ich mich ohr­fei­gen. Was sind wir doch für
Idio­ten, wenn wir glau­ben, am edels­ten zu sein.«
    Die Pu­er­to­ri­ca­ne­rin be­gann plötz­lich zu
sin­gen. Es war ein spa­ni­sches Lied, wahr­schein­lich aus Me­xi­ko. Sie hat­te ei­ne
pracht­vol­le Stim­me, tief und stark, wenn sie sang, die Au­gen un­ent­wegt auf den
Me­xi­ka­ner ge­rich­tet. Es war ein Lied von ei­ner so ve­he­men­ten, na­tür­li­chen
Wol­lust, kla­gend fast, weit von je­dem Nach­den­ken und je­der Zi­vi­li­sa­ti­on, aus
ei­ner Zeit, in der die Mensch­heit ihr mensch­li­ches Gut, den Hu­mor, noch nicht
er­lernt hat­te, di­rekt und scham­los und un­schul­dig. Der Me­xi­ka­ner rühr­te nicht
einen Mus­kel. Auch die Frau blieb be­we­gungs­los bis auf ih­ren Mund und ih­re
Au­gen. Sie sa­hen sich an, oh­ne zu blin­zeln, und die Me­lo­die ström­te und
ström­te. Es war ei­ne Ver­ei­ni­gung, oh­ne daß sie sich be­rühr­ten, und je­der
fühl­te, daß es das war. Ich sah, wie al­le schwie­gen, und ich sah sie al­le,
wäh­rend das Lied lang­sam ström­te – Raoul und John, Lach­mann und Me­li­kow
und Na­ta­scha Pe­trow­na, al­le ernst und über sich selbst hin­aus­ge­ho­ben durch
die­se Frau, die nichts sah als den Me­xi­ka­ner und in ihm, in sei­nem schä­bi­gen
Gi­go­lo­ge­sicht, das Le­ben, und es war we­der son­der­bar noch lä­cher­lich.

VIII.
    I ch hat­te drei Ta­ge
Ur­laub, be­vor ich mei­ne Stel­lung an­trat. Am ers­ten Tag ging ich die Drit­te
Ave­nue um je­ne Stun­de ent­lang, die ich dort am meis­ten lieb­te: den spä­ten
Nach­mit­tag, wenn in den An­ti­qui­tä­ten­lä­den die Zeit ste­hen blieb, die Schat­ten
blau wur­den und die Spie­gel er­wach­ten. Aus den Re­stau­rants be­gann der ers­te
Ge­ruch von ge­bra­te­nen Zwie­beln und Kar­tof­feln zu si­ckern, die Kell­ner fin­gen
an, die Ti­sche zu de­cken, und die Hum­mer auf ih­rem Fol­ter­brett von Eis in den
großen Fens­tern des King of the Sea ver­such­ten mit ih­ren durch spit­ze
Holz­pflö­cke un­taug­lich ge­mach­ten Sche­ren zu ent­flie­hen. Ich konn­te ih­re run­den,
ge­bo­ge­nen Kör­per nie oh­ne lei­sen Schau­der se­hen, sie er­in­ner­ten mich an die
Fol­ter­kam­mern in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern des Vol­kes der Dich­ter und Den­ker.
    »Der Reichs­jä­ger­meis­ter Her­mann Gö­ring
wür­de so et­was nicht ge­stat­ten«, sag­te Kahn, den ich vor der Ab­tei­lung mit den
Rie­sen­krab­ben traf.
    »Sie mei­nen die Hum­mer? Die Krab­ben sind
doch schon ge­vier­teilt!«
    Er nick­te. »Das Drit­te Reich ist be­rühmt
für sei­ne Tier­lie­be. Der Schä­fer­hund des Füh­rers

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