E.M. Remarque
Rolls-Royce nur für heute abend. Morgen muß sie ihn
wieder abliefern. Möchtest du nicht einen Abend als Hochstapler durch die Welt
gleiten?«
Ich lachte. »Das tue ich seit vielen
Jahren. Aber nicht im Auto. Das wäre etwas Neues.«
»Wir haben auch einen Chauffeur«, sagte
Natascha Petrowna.
»Sogar in Uniform. Einen englischen.«
»Muß ich mich umziehen?«
»Selbstverständlich nicht. Schauen Sie mich
doch an!«
Es wäre mir auch schwer gefallen, mich umzuziehen.
Ich hatte zwei Anzüge, und den besseren hatte ich bereits an.
»Fahren Sie mit?« fragte Natascha Petrowna.
»Gerne!« Mir konnte nichts Besseres
passieren, um von dem Gedanken an Gräfenheim loszukommen. »Heute scheint ein
glücklicher Tag für mich zu sein«, sagte ich. »Ich habe mir selbst drei Tage
Urlaub gegeben, aber ich habe nicht an solche Überraschungen geglaubt.«
»Können Sie sich selbst Urlaub geben? Ich
kann das nicht.«
»Ich auch nicht, aber ich wechsle meine
Stellung. In drei Tagen werde ich Schlepper, Bildereinrahmer und Hausbursche
bei einem Bilderhändler.«
»Verkäufer auch?«
»Gott bewahre. Das tut Herr Silvers
selbst.«
Natascha Petrowna studierte mich einen
Augenblick. »Warum sollten Sie nicht verkaufen können?«
»Dazu verstehe ich zu wenig.«
»Man muß nichts verstehen von dem, was man
verkauft. Man verkauft dann sogar besser. Es gibt einem mehr Freiheit, wenn man
die Nachteile nicht kennt.«
Ich lachte. »Woher wissen Sie das alles?«
»Ich muß manchmal auch verkaufen. Kleider
und Hüte.« Sie studierte mich wieder. »Aber ich bekomme dann eine Provision.
Das sollten sie auch!«
»Vorläufig weiß ich überhaupt nicht, ob ich
nicht nur das Haus ausfegen muß und Kaffee für die Kunden bringen. Oder
Cocktails.«
Wir fuhren langsam durch die Straßen, vor
uns den breiten Rücken eines in Cord gekleideten Chauffeurs mit einer
beigefarbenen Mütze. Natascha drückte einen Knopf, und aus der Mahagoniwand vor
uns hob sich langsam ein versenkbarer Tisch. »Cocktails«, sagte sie und griff
in ein Abteil, das unter dem Tisch frei geworden war und einige Gläser und
Flaschen enthielt. »Eisgekühlt«, erklärte sie. »Das Neueste. Ein kleiner
eingebauter Eisschrank. Was möchten Sie haben? Wodka, Whisky oder
Mineralwasser? Wodka, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.«
Ich blickte auf die Flasche. »Aber das ist
ja echter russischer. Wie kommt denn der hierher?«
»Der Nektar der Götter! Der Über-Nektar
sogar. Eine der wenigen erfreulichen Folgen des Krieges. Der Mann, dem dieser
Wagen gehört, hat etwas mit Außenpolitik zu tun. Er muß öfter nach Rußland und
Washington.« Sie lachte. »Fragen wir nicht weiter, sondern genießen wir. Man
hat es mir erlaubt.«
»Aber nicht mir.«
»Der Mann, dem dieser Wagen gehört, weiß
auch, daß ich darin nicht allein umherfahre.«
Der Wodka war hervorragend. Was ich bisher
getrunken hatte, war dagegen alles zu scharf und schmeckte zu sehr nach Sprit.
»Noch einen?« fragte sie.
»Warum nicht? Es scheint plötzlich mein
Schicksal zu sein, als Kriegsnutznießer zu leben. Ich bin in Amerika
hereingelassen worden, weil Krieg ist; ich habe Arbeit gefunden, weil Krieg
ist; und nun trinke ich russischen Wodka, wiederum weil Krieg ist. Ich bin ein
Parasit wider Willen.«
Natascha Petrowna blinzelte mich an. »Warum
sind Sie es nicht mit Willen? Es ist viel angenehmer.«
Wir fuhren die Fifth Avenue hinauf, am
Central Park entlang.
»Hier beginnt Ihr Gebiet«, sagte Natascha
Petrowna.
Wir bogen nach einiger Zeit in die 86.
Straße ein. Sie war breit und amerikanisch und erinnerte doch sofort an eine
Straße in einer deutschen Kleinstadt. Konditoreien. Bierkneipen, Wurstläden
säumten den Weg. »Spricht man hier noch Deutsch?« fragte ich.
»Soviel Sie wollen. Die
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