E.M. Remarque
Longchamps
gehen?«
Sie musterte mich. Ich hatte meinen neuen
Anzug an. »Neu!« sagte sie, und ich folgte ihrem Blick. Ich hob meine Schuhe
hoch.
»Auch neu. Glauben Sie, daß ich
longchampsreif bin?«
»Ich war gestern abend im Pavillon. Es war
ziemlich langweilig. Im Sommer sollte man draußen sitzen können. Man hat das in
Amerika noch nicht entdeckt. Hier gibt es ja auch keine Cafés.«
»Konditoreien.«
Sie funkelte mich an. »Ja, für alte Weiber,
die sanft nach welkem Laub riechen.«
»Ich habe einen Topf Szegediner Gulasch auf
meinem Zimmer«, sagte ich. »Genug für sechs starke Esser, von einer ungarischen
Köchin zubereitet. Es war gestern abend schon hervorragend, heute ist es noch
besser. Szegediner Gulasch mit Kümmel und Kraut schmeckt aufgewärmt besser als
frisch.«
»Wie kommen Sie zu Szegediner Gulasch?«
»Ich war gestern abend bei einer Feier.«
»Ich habe noch nie erlebt, daß man von
einer Feier Gulasch für sechs nach Hause bringt. Wo war denn das? Bei ...?«
Ich warf ihr einen warnenden Blick zu.
»Nein, in keinem deutschen Bierrestaurant. Gulasch ist ungarisch, nicht
deutsch. Ich war privat eingeladen. Mit Tanz!« fügte ich hinzu, um mich für ihre
Gedanken zu rächen.
»So, mit Tanz! Sie scheinen ja tüchtig
herumzukommen.«
Ich hatte keine Lust, weiter verhört zu
werden. »Es ist dort so Sitte«, erklärte ich. »Einsame Junggesellen, die in
trostlosen Hotellöchern hausen, bekommen von der menschenfreundlichen Wirtin
einen Topf übrig gebliebenen Gulaschs mit nach Hause. Es war genug da für eine
Kompanie. Kriegsstark. Dazu haben ein Freund und ich noch Gurken in Dill und
Kirschenstrudel mitbekommen. Ein Mahl für Götter. Aber leider ist es kalt.«
»Kann man es nicht aufwärmen?«
»Wo?« sagte ich. »Auf meinem Zimmer habe
ich einen kleinen elektrischen Kocher für Kaffee, das ist alles.«
Natascha Petrowna lachte. »Ich hoffe, Sie
haben nicht auch noch ein paar Radierungen auf Ihrem Zimmer, die Sie Ihren
Damenbesuchen zeigen wollen!«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.
Wollen Sie nicht Longchamps versuchen?«
»Nein. Sie haben Ihr Gulasch zu verlockend
beschrieben.«
»Melikow muß bald kommen«, sagte Natascha
Petrowna. »Er kann uns sicher helfen. Spazieren wir eine halbe Stunde in der
Stadt umher. Ich war heute noch nicht draußen. Zu Ihrem Gulasch gehört sicher
ein gehöriger Appetit.«
»Gut.«
Wir gingen zusammen durch die Straßen. Die
Häuser schwammen im rötlichen Licht. In den Geschäften blinkten die Lichter
auf. Natascha Petrowna erklärte mir, daß sie einen Schuhkomplex habe. Es sei
ihr unmöglich, an einem Laden mit Schuhen vorbeizugehen. Selbst wenn sie ihn
eine Stunde vorher angeschaut habe, müsse sie auf dem Rückwege nachschauen, ob
sich nichts verändert habe. »Verrückt? Nicht wahr?«
»Warum?«
»Es kann sich doch nichts verändert haben.
Ich habe mir doch gerade vorher alles angesehen.«
»Sie könnten etwas übersehen haben.
Außerdem könnte der Besitzer auf die Idee gekommen sein, neu zu dekorieren.«
»Nach Geschäftsschluß?«
»Wann sonst? Solange er offen hat, muß er
verkaufen.«
Sie sah mich rasch an. »Sie sind ...«
sie tippte an ihre Schläfe, »halt. Dabei ist es mir ein paar Mal passiert, daß
tatsächlich gerade neu dekoriert wurde. Sie wissen, wie: Alles huscht lautlos
auf Strümpfen im Fenster umher und tut so, als bemerke es die Passanten nicht,
die stehen geblieben sind.«
Sie machte es vor. »Wie ist es mit
Modegeschäften?« fragte ich.
»Das ist mein Beruf. Davon habe ich
tagsüber genug.«
Wir waren in die Nähe von Kahns Geschäft
gekommen. Ich hatte inzwischen einen Entschluß gefaßt. Ich wollte Kahn bitten,
mir einen elektrischen Kocher zu leihen. Zu meinem Erstaunen war er noch
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