E.M. Remarque
eifersüchtig?«
Lucienne blickte erstaunt auf. »Natürlich nicht. Das
andere ist doch Geschäft.«
»Nur dann also, wenn es kein Geld kostet?«
Lucienne zögerte. Dann errötete sie langsam. »Nicht
deshalb. Nur, wenn er denkt, daß noch etwas anderes dabei ist.« Sie zögerte
wieder. »Daß ich etwas fühle.«
Sie blickte nicht auf. Ravic nahm ihre Hand, die verloren
auf dem Tisch lag. »Lucienne«, sagte er. »Es ist hübsch, daß du dich erinnert
hast. Und daß du mit mir gehen willst. Du bist reizend, und ich würde dich
mitnehmen. Aber ich kann mit niemand schlafen, den ich einmal operiert habe.
Verstehst du das?«
Sie hob die langen, dunklen Wimpern und nickte rasch.
»Ja.« Sie stand auf. »Dann will ich jetzt gehen.«
»Adieu, Lucienne. Alles Gute. Nimm dich in acht, daß du
nicht krank wirst.«
»Ja.«
Ravic schrieb etwas auf einen Zettel. »Besorge dir dies,
wenn du es noch nicht hast. Es ist das Beste. Und gib nicht alles Geld an
Bobo.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie wußte und er
wußte auch, daß sie es trotzdem tun würde. Ravic blickte ihr nach, bis sie in
der Menge verschwand. Dann winkte er dem Kellner.
Die Frau mit dem blauen Hut kam vorbei. Sie hatte die
Szene beobachtet. Sie fächelte sich mit ihrer zusammengefalteten Zeitung und
zeigte einen Mund voll falscher Zähne. »Entweder du bist impotent oder schwul,
mein Süßer«, sagte sie freundlich im Vorbeigehen. »Viel Glück und herzlichen
Dank.«
Ravic ging durch die warme Nacht. Die Blitze wehten
über die Dächer. Die Luft war still. Am Louvre fand er den Eingang erleuchtet.
Die Türen standen offen. Er ging hinein.
Es war eine der Nachtausstellungen. Ein Teil der Säle war
erleuchtet. Er ging durch die ägyptische Ausstellung, die aussah wie ein
riesiges, erhelltes Grab. Versteinert hockten und standen die Könige von vor
dreitausend Jahren und starrten die Gruppen von umherwandernden Studenten,
Frauen in vorjährigen Hüten und älteren gelangweilten Männern reglos aus
granitenen Augen an. Es roch nach Staub, toter Luft und Unsterblichkeit.
In der griechischen Abteilung flüsterten vor der Venus
von Milo einige Mädchen, die ihr in nichts glichen. Ravic blieb stehen. Nach
dem Granit und dem grünen Syenit der Ägypter war der Marmor dekadent und weich.
Die sanft füllige Venus hatte etwas von einer zufriedenen, badenden Hausfrau;
schön und ohne Gedanken. Apollo, der Eidechsentöter, war ein Homosexueller, der
mehr turnen sollte. Aber sie standen in Sälen, das tötete sie. Es tötete die Ägypter
nicht; sie waren für Gräber und Tempel gemacht. Die Griechen brauchten Sonne,
Luft und Säulen, durch die das goldene Licht Athens schien.
Ravic ging weiter. Die große Halle mit den Treppen kam
ihm kühl entgegen. Und plötzlich, hoch über allem, schwebte die Nike von
Samothrake.
Es war lange her, daß er sie gesehen hatte. Das letztemal
war es an einem grauen Tag gewesen, der Marmor war unansehnlich erschienen, und
im schmutzigen Winterlicht des Museums hatte die Prinzessin des Sieges gezögert
und gefroren. Jetzt aber stand sie hoch über den Treppen, auf dem Vorbau des
Marmorschiffbruchstücks, angeleuchtet von Scheinwerfern, strahlend, die Flügel
weit ausgebreitet, die Kleider vom Wind eng an den schreitenden Körper gepreßt,
hell und bereit, abzufliegen. Hinter ihr schien das weinfarbene Meer von
Salamis zu rauschen, und der Himmel war dunkel vor dem Samt der Erwartung.
Sie wußte nichts von Moral. Sie wußte nichts von
Problemen. Sie kannte nicht die Stürme und die schwarzen Hintergründe des
Blutes. Sie kannte den Sieg und die Niederlage, und beides war fast gleich. Sie
war nicht Verführung; sie war Fliegen. Sie war nicht Lockung; sie war
Unbekümmertheit. Sie hatte kein Geheimnis – und doch war sie
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