Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
Vom Netzwerk:
er­re­gen­der als die
Ve­nus, die ihr Ge­schlecht ver­barg und da­mit auf es deu­te­te. Sie war den Vö­geln
ver­wandt und den Schif­fen – dem Wind, den Wel­len und dem Ho­ri­zont. Sie hat­te
kei­ne Hei­mat.
    Sie hat­te kei­ne Hei­mat, dach­te Ra­vic. Aber sie brauch­te
auch kei­ne. Sie war auf al­len Schif­fen zu Hau­se, wo Mut und Kampf, und so­gar in
der Nie­der­la­ge, wenn sie oh­ne Ver­zweif­lung war.
    Sie war nicht nur die Göt­tin des Sie­ges – sie war auch
die Göt­tin vol­ler Aben­teu­er und die Göt­tin der Emi­gran­ten – so­lan­ge sie nicht
auf­ga­ben.
    Er sah sich um. Nie­mand mehr in der Hal­le. Die Stu­den­ten
und die Leu­te mit den Ba­ede­kern wa­ren nach Hau­se ge­gan­gen. Nach Hau­se – was für
ein an­de­res Zu­hau­se gab es für den, der nir­gend­wo­hin ge­hör­te, als das
stür­mi­sche im Her­zen ei­nes an­dern für ei­ne kur­ze Zeit? War das nicht der Grund,
daß die Lie­be, wenn sie in das Herz der Hei­mat­lo­sen ein­schlug, sie so
schüt­tel­te und sie so ganz be­saß – weil sie nichts an­de­res hat­ten? Hat­te er
nicht des­halb ver­sucht, ihr aus dem We­ge zu ge­hen? Und war sie ihm nicht
nach­ge­kom­men und hat­te ihn er­reicht und nie­der« ge­schla­gen? Es war schwe­rer,
sich auf dem schlüpf­ri­gen Eis der Frem­de wie­der auf­zu­rich­ten als auf der
ver­trau­ten Er­de des Ge­wohn­ten.
    Et­was fing sein Au­ge. Et­was Klei­nes, Flat­tern­des, Wei­ßes.
Es war ein Schmet­ter­ling, der durch die of­fe­ne Ein­gangs­tür her­ein­ge­flo­gen sein
muß­te. Er war ir­gend­wo­her ge­kom­men, von den war­men Ro­sen­bee­ten der Tui­le­ri­en,
auf­ge­schreckt viel­leicht von zwei Lie­ben­den aus sei­nem Duft­schlaf, ge­blen­det
dann durch Lich­ter, die un­be­kann­te Son­nen wa­ren, vie­le, ver­wir­ren­de – er hat­te
sich ge­flüch­tet in den Ein­gang, in das schüt­zen­de Dun­kel, das die großen Tü­ren
bar­gen –, und jetzt tau­mel­te er ver­lo­ren und mu­tig in der großen Hal­le um­her,
in der er ster­ben wür­de – mü­de wer­den, schla­fen auf ei­nem Mau­er­sims, ei­nem
Fens­ter­vor­sprung oder auf der Schul­ter der strah­len­den Göt­tin hoch oben, am
Mor­gen wür­de er nach Blu­men su­chen und Le­ben und dem hel­len Ho­nig der Blü­ten
und sie nicht fin­den und ir­gend­wann wie­der ein­schla­fen auf tau­send­jäh­ri­gem
Mar­mor, schwä­cher schon, bis der Griff der zar­ten zu­ver­läs­si­gen Fü­ße sich lö­sen
und er her­ab­fal­len wür­de, ein schma­les Blatt vor­zei­ti­gen Herbs­tes.
    Sen­ti­men­ta­li­tät, dach­te Ra­vic. Die Göt­tin des Sie­ges und
der Re­fu­gié Schmet­ter­ling. Bil­li­ges Sym­bol. Aber was rühr­te an­ders als die
bil­li­gen Din­ge, die bil­li­gen Sym­bo­le, die bil­li­gen Ge­füh­le, die bil­li­ge
Sen­ti­men­ta­li­tät? Was hat­te sie denn so bil­lig ge­macht? Ih­re über­deut­li­che
Wahr­heit? Der Sno­bis­mus ver­flog, wenn es ei­nem an die Keh­le ging. Der
Schmet­ter­ling war im Halb­dun­kel der Kup­pel ver­schwun­den. Ra­vic ging hin­aus. Die
war­me Luft drau­ßen kam ihm ent­ge­gen, lau wie ein Bad. Er blieb ste­hen. Bil­li­ge
Ge­füh­le! War er selbst nicht aus­ge­lie­fert dem bil­ligs­ten von al­len? Er starr­te
in den wei­ten Hof, in dem die Schat­ten der Jahr­hun­der­te hock­ten, und er spür­te,
wie es plötz­lich mit Fäus­ten auf ihn ein­schlug. Er tau­mel­te fast un­ter dem
An­sturm. Die wei­ße, auf­flie­gen­de Ni­ke geis­ter­te noch vor sei­nen Au­gen – aber
da­hin­ter tauch­te aus dem Schat­ten ein an­de­res Ge­sicht auf, ein bil­li­ges
Ge­sicht, ein kost­ba­res Ge­sicht, in dem sei­ne Phan­ta­sie sich ge­fan­gen hat­te wie
ein in­di­scher Schlei­er in ei­nem Ro­sen­busch voll Dor­nen. Er zerr­te dar­an, aber
die Dor­nen hiel­ten fest, sie hiel­ten die sei­de­nen und gol­de­nen Fä­den fest, sie
wa­ren so ver­knüpft schon da­mit, daß das Au­ge nicht mehr ganz un­ter­schei­den
konn­te, was dor­ni­ges Ge­zweig war und was schim­mern­des Ge­we­be.
    Ge­sicht! Ge­sicht! Wer frag­te, ob es bil­lig oder kost­bar
war. Ein­ma­lig oder tau­send­ma­lig? Man konn­te vor­her Fra­gen stel­len – aber wenn
man ein­mal ge­fan­gen war, wuß­te man es nicht mehr. Man

Weitere Kostenlose Bücher