E.M. Remarque
Sache der Polizei. Darauf verfluchte sie mich.«
»Geld«, sagte Ravic. »Wie erfinderisch das macht.«
Veber lachte. »Wir werden die Behörden benachrichtigen.
Die können sich darum kümmern. Auch um das Begräbnis.«
Ravic warf noch einen Blick auf den Mann ohne Verwandte
und ohne Magen. Er lag da, und sein Gesicht veränderte sich in dieser Stunde,
wie es sich nie in den fünfunddreißig Jahren seines Lebens verändert hatte. Aus
dem erstarrten Krampf des letzten Atemzuges wuchs langsam das strenge Antlitz
des Todes hervor. Das Zufällige zerschmolz, die Zeichen des Sterbens
verwischten sich, und abwesend, schweigend, formte sich aus dem schiefen
Durchschnittsgesicht die ewige Maske. In einer Stunde würde sie allein noch da
sein.
Ravic ging. Im Korridor traf er die Nachtschwester. Sie
war gerade gekommen. »Der Herr in zwölf ist tot«, sagte er. »Er ist vor einer
halben Stunde gestorben. Sie brauchen nicht mehr zu wachen.« Und als er ihr
Gesicht sah: »Hat er Ihnen etwas hinterlassen?«
Sie zögerte. »Nein. Er war ein sehr kühler Herr. Und in
den letzten Tagen sprach er fast nicht mehr.«
»Nein, das tat er nicht.«
Die Schwester blickte Ravic hausfraulich an. »Er hatte
ein wunderschönes Toiletten-Necessaire; alles Silber. Eigentlich etwas zu
zierlich für einen Herrn. Mehr für eine Dame.«
»Haben Sie ihm das gesagt?«
»Wir haben einmal darüber gesprochen. Dienstag nacht; da
war er ruhiger. Aber er sagte, Silber wäre auch richtig für einen Mann. Und die
Bürsten wären so gut. Das gäbe es heute nicht mehr. Sonst sprach er wenig.«
»Das Silber geht jetzt zur Behörde. Der Mann hat keinen
Verwandten.«
Die Schwester nickte verständig. »Schade! Es wird schwarz
werden. Und Bürsten verderben, wenn sie nicht neu sind und nicht gebraucht
werden. Man sollte sie vorher auswaschen.«
»Ja, schade«, sagte Ravic. »Besser, Sie hätten sie
bekommen. Dann hätte wenigstens jemand Freude daran gehabt.«
Die Schwester lächelte dankbar. »Es macht nichts. Ich
habe nichts erwartet. Sterbende verschenken selten etwas. Nur Genesende.
Sterbende wollen nicht glauben, daß sie sterben. Deshalb tun sie es nicht.
Manche tun es auch nicht aus Bosheit. Sie glauben nicht, Herr Doktor, wie
schrecklich Sterbende sein können! Was die einem manchmal sagen, bevor sie tot
sind!«
Ihr rotbackiges
Kindergesicht war offen und klar. Sie machte sich nichts aus dem, was rund um
sie vorging, wenn es nicht in ihre kleine Welt paßte. Sterbende waren unartige
Kinder oder hilflose Kinder. Man achtete auf sie, bis sie tot waren, und dann
kamen neue; manche wurden gesund und waren dankbar, andere nicht, und andere
starben eben. Das war so. Nichts, um sich zu beunruhigen. Es war viel
wichtiger, ob beim Ausverkauf im »Bonmarché« die Preise um fünfundzwanzig
Prozent herabgesetzt wurden – oder ob Cousin Jean die Anne Couturier heiraten
würde.
Es war auch wichtiger, dachte Ravic. Der kleine Zirkel,
der vor dem Chaos schützte. – Wohin käme man sonst?
Er saß vor dem Café Triomphe. Die Nacht war blaß und
wolkig. Es war warm, und irgendwo zuckten lautlose Blitze. Das Leben kroch
dichter auf den Bürgersteigen dahin. Eine Frau mit einem atlasblauen Hut setzte
sich zu ihm an den Tisch.
»Zahlst du mir einen Vermouth?« fragte sie.
»Ja. Aber laß mich allein. Ich warte auf jemand.«
»Wir können zusammen warten.«
»Besser nicht. Ich warte auf eine Ringkämpferin vom
Palace du Sport.«
Die Frau lächelte. Sie war so dick bemalt, daß man das
Lächeln nur in den Lippen sah. Alles andere war wie eine weiße Maske. »Komm mit
mir«, sagte sie. »Ich habe eine süße Wohnung. Und ich bin gut.«
Ravic schüttelte den Kopf. Er legte einen Fünffrankschein
auf den Tisch. »Hier. Adieu. Und alles Gute.«
Die Frau nahm den Schein,
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