E.M. Remarque
faltete ihn und schob ihn unter
ihr Strumpfband. »Cafard?« fragte sie.
»Nein.«
»Ich bin gut gegen Cafard. Habe eine sehr nette Freundin.
Jung«, fügte sie nach einer Pause hinzu. »Brüste wie der Eiffelturm.«
»Ein anderes Mal.«
»Schön.« Die Frau stand auf und setzte sich ein paar
Tische weiter. Sie sah noch einige Male herüber, dann kaufte sie eine
Sportzeitung und begann, die Sportresultate zu lesen.
Ravic starrte in den Wirbel, der sich unablässig an den
Tischen vorbeischob. Die Kapelle im Innenraum spielte Wiener Walzer. Die Blitze
wurden stärker. Eine Gruppe von jungen Homosexuellen nahm wie ein Papageienschwarm
am Nebentisch kokett lärmend Platz. Sie trugen Backenbärte, die neueste Mode,
und ihre Jacken hatten zu breite Schultern und zu enge Taillen.
Ein Mädchen blieb an Ravics Tisch stehen und sah ihn an.
Sie kam ihm vage bekannt vor – aber er kannte so viele. Sie sah aus wie eine
der zarteren Huren mit dem Hilflosigkeitsappell.
»Kennen Sie mich nicht wieder?« fragte sie.
»Natürlich«, sagte Ravic. Er hatte keine Ahnung. »Wie
geht es?«
»Gut. Aber Sie kennen mich wirklich nicht mehr?«
»Ich vergesse Namen. Aber ich kenne Sie natürlich. Es ist
lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben.«
»Ja. Sie haben Bobo damals einen guten Schrecken
eingejagt.« Sie lächelte. »Sie haben mir das Leben gerettet, und jetzt kennen
Sie mich nicht wieder.«
Bobo. Leben gerettet. Die Hebamme. Ravic erinnerte sich
jetzt. »Sie sind Lucienne«, sagte er. Natürlich. »Damals waren Sie krank. Heute
sind Sie gesund. Das ist es. Deshalb habe ich Sie nicht gleich erkannt.«
Lucienne strahlte. »Wirklich! Sie erinnern sich
tatsächlich! Vielen Dank für die hundert Frank, die Sie von der Hebamme
zurückbekommen haben.«
»Das – ach ja …« Er hatte ihr damals nach seinem
Mißerfolg bei der Madame Boucher von sich aus etwas geschickt. »Es war leider
nicht alles.«
»Es war genug. Ich hatte schon das Ganze verloren
gegeben.«
»Gut. Wollen Sie etwas mit mir trinken, Lucienne?«
Sie nickte und setzte sich behutsam neben ihn. »Einen
Cinzano mit Selters.«
»Was machen Sie, Lucienne?«
»Mir geht es sehr gut.«
»Sind Sie noch mit Bobo?«
»Ja, natürlich. Aber er ist jetzt anders, besser.«
»Gut.«
Es war nicht viel zu
fragen. Die kleine Näherin war eine kleine Hure geworden. Dafür hatte er sie
zusammengeflickt. Bobo hatte den Rest besorgt. Angst vor Kindern brauchte sie
nicht mehr zu haben. Ein Grund mehr. Sie war noch im Anfang; das bißchen
Kindlichkeit gab ihr noch den Anreiz für ältere Routiniers – ein Stückchen
Porzellan, das noch nicht abgeschabt war durch zu vielen Gebrauch. Sie trank
vorsichtig wie ein Vogel, aber die Augen wanderten schon umher. Es war nichts
gerade Erheiterndes. Auch nichts für großes Bedauern. Just ein bißchen Leben,
das rutschte. »Bist du zufrieden?« fragte er.
Sie nickte. Er sah, daß sie wirklich zufrieden war. Sie
fand alles ganz richtig. Es gab nichts zu dramatisieren. »Sind Sie allein?«
fragte sie.
»Ja, Lucienne.«
»An solch einem Abend?«
»Ja.«
Sie blickte ihn scheu an und lächelte. »Ich habe Zeit«,
sagte sie.
Was ist los mit mir? dachte Ravic. Sehe ich so hungrig
aus, daß mir bereits jede Hure ein Stück käuflicher Liebe anträgt? »Es ist zu
weit, zu dir zu fahren, Lucienne. Ich habe nicht so viel Zeit.«
»Wir können nicht zu mir fahren. Bobo darf nichts davon
wissen.«
Ravic sah sie an. »Weiß Bobo nie etwas davon?«
»Doch. Von den andern weiß er es. Er paßt ja auf.« Sie
lächelte.
»Er ist noch so jung. Er glaubt, daß ich ihm sonst das
Geld nicht gebe. Von Ihnen will ich kein Geld.«
»Darf Bobo deshalb nichts wissen?«
»Nicht deshalb. Aber er würde eifersüchtig werden. Und
dann wird er wild.«
»Wird er bei allen
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