E.M. Remarque
nicht auf das, wohin sie sich
gewendet hat.
Er ging zurück zu den Anlagen. Blüten rochen aus dem
Dunkel, süß, vermischt mit dem Geruch von Erde und abgekühltem Grün. Sie rochen
stark, wie vor Gewitter. Er fand eine Bank und setzte sich. Das bin ich nicht,
dachte er, dieser verspätete Liebhaber, der hier auf einer Bank vor dem Haus
der Frau sitzt, die ihn verlassen hat, und ihr Fenster beobachtet! Das bin ich
nicht, geschüttelt von einem Verlangen, das, er genau sezieren kann und doch
nicht Herr darüber ist! Das bin ich nicht, dieser Narr hier, der Jahre geben
würde, wenn er die Zeit zurückdrehen und ein blondes Nichts zurückhaben könnte,
das selbigen Unsinn in sein Ohr schwatzte! Das bin nicht ich, der – zum Teufel
mit allen Ausreden – hier sitzt und eifersüchtig ist und zerbrochen und elend
und der am liebsten den Wagen dort anzünden würde!
Er suchte nach einer Zigarette. Das leise Glühen. Der unsichtbare
Rauch. Die kurze Kometenbahn des Streichholzes. Warum ging er nicht hinauf in
das Studio? Was konnte schon sein? Es war noch nicht zu spät. Das Licht brannte
noch. Er würde die Situation schon meistern können. Warum holte er sie nicht
heraus? Jetzt, wo er alles wußte? Holte sie heraus und nahm sie mit sich und
ließ sie nie mehr los?
Er starrte in das Dunkel. Was würde es nützen? Was würde
schon geschehen? Er konnte den andern nicht hinauswerfen. Man konnte nichts und
niemand aus dem Herzen eines andern hinauswerfen. Hätte er sie nicht nehmen
können, als sie zu ihm gekommen war? Weshalb hatte er es nicht getan?
Er warf die Zigarette fort. Weil es nicht genug war. Das
war es. Er wollte mehr. Es würde nicht genug sein, selbst wenn sie käme, selbst
wenn sie wiederkäme und alles wäre vergessen und versunken, es würde nie mehr
genug sein, auf eine sonderbare und schreckliche Weise nie mehr genug. Irgend
etwas war fehlgegangen, der Strahl der Phantasie hatte irgendwann den Spiegel
nicht mehr getroffen, der ihn auffing und glühender in sich selbst zurückwarf,
und nun war er darüber hinausgeschossen, in blinde Unerfüllbarkeit, und nichts
konnte ihn mehr zurückbringen, kein Spiegel mehr und keine tausend Spiegel. Sie
konnten nur noch einen Teil auffangen, aber nie mehr zurückholen; er geisterte
längst verloren an den leeren Himmeln der Liebe entlang und füllte sie nur noch
mit leuchtendem Nebel, der keine Form mehr hatte und nie mehr ein Regenbogen um
ein geliebtes Haupt haben würde. Der magische Kreis war gesprengt, die Klage
blieb, aber die Hoffnung lag in Scherben.
Jemand kam aus dem Haus. Ein Mann. Ravic richtete sich
auf. Eine Frau folgte. Sie lachten. Sie waren es nicht. Einer der Wagen
startete und fuhr ab. Er nahm eine andere Zigarette. Hätte er sie halten
können, wenn es anders gewesen wäre? Doch was konnte man halten? Nur eine
Illusion, wenig mehr. Aber war eine Illusion nicht genug? Konnte man je mehr
erreichen? Wer wußte dann etwas von dem schwarzen Strudel des Lebens, der
namenlos unterhalb der Sinne flutete, die ihn aus dem hohlen Sausen zu Dingen
machten, zu Tisch und Lampe und Heimat und Du und Liebe? Da war nur eine Ahnung
und ein schauriges Zwielicht. War es nicht genug?
Es war nicht genug. Es war nur genug, wenn man daran
glaubte. Wenn der Kristall einmal zersprungen war unter dem Hammer des
Zweifels, konnte man ihn nur kitten, aber nichts mehr. Kitten, lügen und das
zerbrochene Licht betrachten, das einmal weißer Glanz war! Nichts kam wieder.
Nichts formte sich zurück. Nichts. Selbst wenn Joan zurückkäme, es würde nicht
mehr dasselbe sein. Der gekittete Kristall. Die Stunde war versäumt. Nichts
brachte sie zurück.
Er spürte einen scharfen, unerträglichen Schmerz. Etwas
riß in ihm, zerriß. Mein Gott, mein Gott, dachte er, daß ich so leiden kann.
Daran so leiden
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