E.M. Remarque
Notizbuch hervor und schrieb die Adresse
ein. Ravic sah auf den zierlichen Band in rotem, biegsamem Juchtenleder. Der
Bleistift war schmal und aus Gold. Was mag darin stehen? dachte er.
Informationen wahrscheinlich, die zu Tortur und Tod führen.
Haake steckte das Notizbuch ein. »Schicke Frau, mit der
Sie vorhin sprachen«, sagte er.
Ravic besann sich eine Sekunde. »Ach so – ja, sehr.«
»Film?«
»So was Ähnliches.«
»Gute Bekannte?«
»Gerade das.«
Haake sah versonnen vor sich hin. »Das ist das Schwierige
hier – jemand Netten kennenzulernen. Man hat zu wenig Zeit und kennt nicht die
richtigen Gelegenheiten ...«
»Das läßt sich machen«, sagte Ravic.
»Wirklich? Sie sind nicht interessiert?«
»Woran?«
Haake lachte verlegen. »Zum Beispiel an der Dame, mit der
Sie sprachen.«
»Nicht im geringsten.«
»Donnerwetter, das wäre nicht schlecht! Ist sie
Französin?«
»Italienerin, glaube ich. Und noch ein paar andere Rassen
dazwischen gemischt.«
Haake grinste. »Nicht schlecht. Zu Hause gibt’s das
natürlich nicht. Aber hier ist man ja inkognito, gewissermaßen.«
»Sind Sie?« fragte Ravic.
Haake stutzte eine Sekunde. Dann lächelte er. »Verstehe!
Für die Eingeweihten natürlich nicht – aber sonst, streng. Übrigens, da fällt
mir ein – haben Sie irgendwelche Beziehungen zu Refugiés?«
»Wenig«, sagte Ravic achtsam.
»Schade! Wir würden gern so gewisse … Sie verstehen,
Informationen …, wir zahlen sogar dafür …« Haake hob die Hand. »Kommt bei Ihnen
selbstverständlich nicht in Frage! Trotzdem, die kleinste Nachricht...«
Ravic bemerkte, daß Haake ihn weiter ansah: »Möglich«,
sagte er. »Man weiß ja nie … kann immer mal was vorkommen.«
Haake rückte seinen Stuhl näher. »Eine meiner Aufgaben,
wissen Sie. Verbindungen von drinnen nach draußen. Schwer, manchmal
’ranzukommen. Wir haben gute Leute hier.« Er hob verständnisvoll die
Augenbrauen. »Unter uns ist das natürlich anders. Ehrensache. Vaterland
schließlich.«
»Selbstverständlich.«
Haake blickte auf. »Da kommen meine Bekannten.« Er legte
ein paar Scheine auf den Porzellanteller, nachdem er die Summe addiert hatte.
»Bequem, daß immer gleich die Preise auf den Tellern stehen. Könnte man bei uns
auch einführen.« Er stand auf und streckte die Hand aus. »Auf Wiedersehen, Herr
von Horn. Hat mich sehr gefreut. Ich rufe Sie in vierzehn Tagen an.« Er
lächelte. »Natürlich Diskretion.«
»Ohne Frage. Vergessen Sie es nicht.«
»Ich vergesse nichts. Kein Gesicht und keine Verabredung.
Kann ich mir nicht leisten. Mein Beruf.«
Ravic stand vor ihm. Er hatte das Gefühl, als müsse er
seinen Arm durch eine Betonwand durchstoßen. Dann fühlte er die Hand Haakes in
seiner. Sie war klein und überraschend weich.
Er stand noch einen Augenblick unentschlossen und sah
Haake nach. Dann setzte er sich wieder. Er spürte, daß er plötzlich zitterte.
Nach einer Weile zahlte er und ging. Er folgte der Richtung, in der Haake
gegangen war. Dann erinnerte er sich, daß er ihn mit zwei andern in ein Taxi
hatte steigen sehen. Es hätte keinen Zweck gehabt, ihm zu folgen. Haake hatte
sein Hotel schon aufgegeben. Wenn er ihn zufällig irgendwo wiedergesehen hätte,
wäre er höchstens mißtrauisch geworden. Ravic kehrte um und ging zum
»International«.
»Du bist vernünftig gewesen«, sagte Morosow. Sie saßen
vor einem Café am Rond Point.
Ravic sah auf seine rechte Hand. Er hatte sie ein paarmal
in Alkohol gewaschen. Er hatte sich albern dabei gefunden, aber er hatte es
nicht lassen können. Die Haut war jetzt trocken wie Pergament.
»Du wärest verrückt gewesen, wenn du irgend etwas getan
hättest«, sagte Morosow. »Gut, daß du nichts bei dir
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