E.M. Remarque
vierzehn
Tagen muß ich ein Automat sein. Es kommt darauf an, die Zeit herumzukriegen.
Die Zeit, bis ich zum erstenmal schlafen kann. Saufen nützt nichts. Eine
Spritze auch nicht. Ich muß vor Erschöpfung einschlafen. Dann ist es am
nächsten Tag richtig. Verstehst du?«
Morosow saß eine Zeitlang still da. »Hol dir eine Frau«,
sagte er dann.
»Was soll das nützen?«
»Irgend etwas. Mit einer Frau schlafen ist immer gut. Ruf
Joan an. Sie wird kommen.«
Joan. Richtig. Die war vorhin dagewesen. Hatte irgend
etwas geredet. Er hatte es schon vergessen. »Ich bin kein Russe«, sagte Ravic.
»Sonst noch Vorschläge? Einfache. Nur die einfachsten.«
»Guter Gott! Sei nicht kompliziert! Das einfachste, von
einer Frau loszukommen, ist gelegentlich wieder mit ihr zu schlafen. Keine
Phantasie ansetzen zu lassen. Wer will einen Naturakt dramatisieren?«
»Ja«, sagte Ravic. »Wer will?«
»Dann laß mich telefonieren gehen. Ich telefoniere dir
etwas heran. Ich bin nicht umsonst Portier.«
»Bleib hier. Ist schon alles richtig. Laß uns trinken und
die Rosen ansehen. Tote Gesichter können so weiß aussehen im Mond, nach
Maschinengewehrfeuer. Sah das einmal in Spanien.
Der Himmel war eine Erfindung der Faschisten, sagte der
Metallarbeiter Pablo Nonas damals. Hatte nur noch ein Bein. War etwas bitter
gegen mich, weil ich ihm das andere nicht in Spiritus konservieren konnte. Kam
sich vor, als wäre er schon ein Viertel begraben. Wußte nicht, daß die Hunde es
gestohlen und gefressen hatten ...«
25
25 Veber
kam in den Verbandsraum. Er winkte Ravic. Sie gingen hinaus. »Durant ist am
Telefon. Er möchte, daß Sie sofort ’rüberkommen. Redet was von Spezialfall und
besonderen Umständen.«
Ravic sah ihn an. »Das heißt, er hat eine Operation verpfuscht
und will sie jetzt mir anhängen, wie?«
»Das glaube ich nicht. Er ist aufgeregt. Weiß scheinbar
nicht, was er machen soll.«
Ravic schüttelte den Kopf. Veber schwieg. »Woher weiß er
überhaupt, daß ich zurück bin?« fragte Ravic.
Veber zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Durch irgendeine
Schwester wahrscheinlich.«
»Warum ruft er Binot nicht an? Binot ist sehr tüchtig.«
»Das habe ich ihm schon gesagt. Er hat mir erklärt, dies
sei eine besonders komplizierte Sache. Gerade Ihr Spezialgebiet.«
»Unsinn. Es gibt für jedes Spezialgebiet sehr tüchtige
Ärzte in Paris. Warum ruft er Martel nicht an? Das ist einer der besten
Chirurgen der Welt.«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Natürlich. Er will sich vor seinen Kollegen nicht
blamieren. Bei einem schwarzen Refugié-Arzt ist das anders. Der muß die
Schnauze halten.«
Veber sah ihn an.
»Es ist dringend. Wollen Sie gehen?«
Ravic riß die Bänder seines Kittels los. »Natürlich«,
sagte er wütend. »Was soll ich anders machen? Aber nur, wenn Sie mitkommen.«
»Gut. Wir können meinen Wagen nehmen.«
Sie gingen die Treppe hinunter. Der Wagen Vebers glänzte
vor der Klinik in der Sonne. Sie stiegen ein. »Ich arbeite nur, wenn Sie
dabeibleiben«, sagte Ravic. »Weiß Gott, ob der Bruder einen sonst nicht
’reinlegt.«
»Ich glaube nicht, daß
er daran im Augenblick denkt.«
Der Wagen fuhr an. »Ich habe andere Sachen gesehen«,
sagte Ravic. »Ich habe in Berlin einen jungen Assistenten gekannt, der alles
hatte, um ein guter Chirurg zu werden. Sein Professor operierte halb besoffen,
verschnitt sich, sagte nichts, ließ den Assistenten weiterarbeiten; der merkte
nichts – eine halbe Stunde später machte der Professor Radau, hängte dem Jungen
den falschen Schnitt an. Der Patient starb in der Operation. Der Junge einen
Tag später. Selbstmord. Der Professor operierte und soff weiter.«
Sie stoppten an der Avenue Marceau; eine
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