E.M. Remarque
hattest.«
»Ja«, erwiderte Ravic ohne Überzeugung.
Morosow sah ihn an. »Du bist doch kein solcher Idiot, daß
du wegen Mords oder Mordversuchs vor Gericht kommen willst.«
Ravic antwortete nicht.
»Ravic ...«
Morosow setzte die Flasche hart auf den Tisch. »Sei kein
Phantast.«
»Das bin ich nicht. Aber verstehst du mich, daß es mir in
den Knochen sitzt, die Gelegenheit versäumt zu haben? Zwei Stunden früher hätte
ich ihn irgendwohin schleppen können – oder sonst etwas tun ...«
Morosow schenkte zwei Gläser ein. »Trink das! Wodka. Du
wirst ihn wiederkriegen.«
»Oder nicht.«
»Du wirst ihn kriegen. Er wird kommen. Die Sorte kommt,
du hast einen guten Haken ausgehängt. Prost!«
Ravic trank sein Glas aus.
»Ich kann immer noch zum Gare du Nord gehen. Sehen, ob er
abfährt.«
»Natürlich. Du kannst auch versuchen, ihn da zu
erschießen. – Zwanzig Jahre Zuchthaus mindestens. Hast du noch mehr solcher
Ideen?«
»Ja. Ich könnte beobachten, ob er abfährt.«
»Und gesehen werden von ihm und alles verderben.«
»Ich hätte ihn fragen sollen, in welchem Hotel er
absteigt.«
»Und ihn mißtrauisch machen.« Morosow goß die Gläser
wieder voll. »Hör zu, Ravic. Ich weiß, du sitzt jetzt da und glaubst, alles
falsch gemacht zu haben. Werde das los! Hau was kaputt, wenn du das willst.
Irgend etwas Großes und nicht zu Teures. Den Palmengarten im »International«
meinetwegen.«
»Zwecklos.«
»Dann rede. Rede darüber, bis du schlapp wirst. Rede es
aus dir heraus. Rede dich ruhig. Du bist kein Russe, sonst würdest du das
verstehn.«
Ravic richtete sich auf. »Boris«, sagte er. »Ich weiß,
Ratten muß man vernichten und sich nicht auf eine Beißerei mit ihnen einlassen.
Aber ich kann nicht darüber reden. Ich werde dafür nachdenken. Nachdenken, wie
ich es machen kann. Ich werde es präparieren wie eine Operation. Soweit man
etwas präparieren kann. Ich werde mich gewöhnen. Ich habe vierzehn Tage Zeit.
Das ist gut. Das ist verdammt gut. Ich kann mich darin gewöhnen, ruhig zu sein.
Du hast recht. Man kann etwas zerreden, um ruhig und überlegt zu werden. Man
kann aber auch etwas zerdenken und dasselbe erreichen. Den Haß. Kalt zerdenken
in Zweck. Ich werde so oft töten in meinen Gedanken, daß es schon wie eine
Gewohnheit sein wird, wenn er wiederkommt. Das tausendste Mal ist man
überlegter und ruhiger als das erstemal. Und jetzt laß uns reden. Aber von was
anderem. Von den weißen Rosen drüben meinetwegen! Sieh dir sie an! Sie sind wie
Schnee in dieser schwülen Nacht. Wie Gischt auf der unruhigen Brandung der
Nacht. Bist du nun zufrieden?«
»Nein«, sagte Morosow.
»Gut. Sieh dir diesen Sommer an. Den Sommer 1939. Er
riecht nach Schwefel. Die Rosen sehen bereits aus wie Schnee auf einem
Massengrab im nächsten Winter. Eine fröhliche Gesellschaft sind wir dafür, wie?
Es lebe das Jahrhundert der Nichteinmischung!
Der moralischen Gefühlsversteinerung! Es wird viel
getötet in dieser Nacht, Boris. In jeder Nacht. Viel getötet. Städte brennen,
Juden heulen irgendwo, Tschechen verrecken in Wäldern, Chinesen brennen unter
japanischem Gasolin, durch Konzentrationslager kriecht der Peitschentod –
sollten wir da sentimentale Weiber sein, wenn ein Mörder eliminiert wird? Wir werden
ihn kriegen und ihn auslöschen, fertig – wie wir es oft genug haben tun müssen
mit unschuldigen Leuten, die sich nur durch eine Uniform von uns unterschieden
...«
»Gut«, sagte Morosow. »Oder wenigstens besser. Hast du je
gelernt, was man mit einem Messer machen kann? Ein Messer knallt nicht.«
»Laß mich damit heute in Ruhe. Ich muß schlafen,
irgendwann. Weiß der Teufel, ob ich’s kann, trotzdem ich so ruhig tue.
Verstehst du das?«
»Ja.«
»In dieser Nacht werde ich töten und töten. In
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