E.M. Remarque
Kolonne
Lastwagen rasselte die Rue Galilee entlang. Die Sonne schien heiß durch die
Fenster. Veber drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett. Das Verdeck des
Wagens glitt langsam zurück. Er blickte Ravic stolz an. »Habe mir das kürzlich
einbauen lassen. Elektrisch. Großartig! Was die Leute alles erfinden, wie?«
Der Wind kam durch das offene Dach. Ravic nickte. »Ja,
großartig. Das Neueste sind magnetische Minen und Torpedos. Las das gestern
irgendwo. Wenn sie ihr Ziel missen, machen sie in einem Bogen kehrt, bis sie es
doch treffen. Fabelhaft konstruktive Rasse sind wir.«
Veber wandte ihm sein rotes Gesicht zu. Er strahlte von
Gutmütigkeit. »Sie mit Ihrem Krieg, Ravic! Wir sind weiter davon entfernt als
vom Mond. Alles Gerede darüber ist nur ein politisches Druckmittel, weiter
nichts, glauben Sie mir!«
Die Haut war blaues Perlmutter. Das Gesicht war Asche.
Darum flammte, im weißen Licht der Operationslampen, eine Fülle goldenen
Haares. Es flammte um das aschenfarbene Gesicht mit einer Intensität, die fast
unanständig wirkte. Es war das einzige, das lebte, funkelnd lebte, schrie, als
wäre das Leben bereits aus dem Körper entwichen und hinge nur noch in den
Haaren.
Die junge Frau, die da lag, war sehr schön. Schmal, lang,
mit einem Gesicht, dem selbst die Schatten tiefster Ohnmacht nichts anhaben
konnten – eine Frau, gemacht für Luxus und Liebe.
Die Frau blutete nur wenig. Zu wenig. »Sie haben die
Gebärmutter geöffnet?« sagte Ravic zu Durant.
»Ja.« – »Und?«
Durant antwortete nicht. Ravic sah auf. Durant starrte
ihn an.
»Gut«, sagte Ravic. »Wir brauchen die Schwestern im
Augenblick nicht. Wir sind drei Ärzte, das genügt.«
Durant machte eine Bewegung und nickte. Die Schwestern
und der Assistent zogen sich zurück.
»Und?« fragte Ravic noch einmal, als sie fort waren.
»Das sehen Sie doch selbst.«
»Nein.«
Ravic sah es, aber wollte, daß Durant es vor Veber
aussprach. Es war sicherer.
»Eine Schwangerschaft
im dritten Monat. Blutungen. Notwendigkeit zu curettieren. Curettage.
Scheinbare Verletzung der Innenwand.«
»Und?« fragte Ravic weiter.
Er sah in das Gesicht Durants. Es war voll ohnmächtiger
Wut. Der wird mich für immer hassen, dachte er. Schon, weil Veber es mit
anhört.
»Perforation«, sagte Durant.
»Mit dem Löffel?«
»Natürlich«, sagte Durant nach einer Weile. »Womit
sonst?«
Die Blutung hatte völlig aufgehört. Ravic untersuchte
schweigend weiter. Dann richtete er sich auf. »Sie haben perforiert. Es nicht
gemerkt. Eine Darmschlinge dabei durch die Öffnung hereingezogen. Nicht
erkannt, was geschehen war. Sie wahrscheinlich für eine Fötus-Membrane
gehalten. Sie angekratzt. Verletzt. Ist das richtig?«
Die Stirn Durants war plötzlich voller Schweiß. Der Bart
unter der Gesichtsmaske arbeitete, als kaue er einen zu großen Bissen.
»Könnte sein.«
»Wie lange arbeiten Sie schon?«
»Insgesamt, bis Sie kamen, dreiviertel Stunden.«
»Blutung nach innen. Verletzter Dünndarm. Äußerste
Sepsisgefahr. Darm muß genäht, Gebärmutter entfernt werden. Sofort.« – »Was?«
fragte Durant.
»Sie wissen das selbst«, sagte Ravic.
Durants Augen flatterten. »Ja, ich weiß es. Dafür habe
ich Sie nicht kommen lassen.«
»Es ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Rufen Sie Ihre
Leute wieder herein und arbeiten Sie weiter. Ich rate Ihnen – schnell.«
Durant kaute. »Ich bin zu aufgeregt. Wollen Sie die
Operation für mich machen?«
»Nein. Ich bin, wie Sie wissen, illegal in Frankreich und
habe kein Recht, zu operieren.«
»Sie …«, begann Durant und verstummte.
Heilgehilfen, halb ausgelernte Studenten, Masseure,
Assistenten, das gibt sich für Ärzte aus Deutschland aus – Ravic
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