E.M. Remarque
Entspannung.
Haake hatte keine Ahnung, wer er war. Seine Narbe an der Stirn hatte er für
eine Mensurnarbe gehalten. Ravic lachte.
Er lachte zusammen mit Haake. Er mußte sich die Nägel in
die Handballen krallen, um aufhören zu lachen.
»Stimmt?« fragte Haake mit einem gemütlichen Stolz.
»Ja, genau.«
Die Narbe an seiner Stirn. Sie war ihm vor den Augen
Haakes im Gestapokeller geschlagen worden. Das Blut war ihm in die Augen und in
den Mund geflossen. Und Haake saß da und hielt sie für eine Mensurnarbe und war
stolz auf sich deshalb.
Der Kellner brachte Haakes Fine. Haake schnupperte
genießerisch daran herum. »Das haben sie hier«, erklärte er. »Guten Kognak!
Sonst …« Er blinzelte zu Ravic hinüber. »Alles faul. Ein Volk von Rentnern.
Wollen nichts als Sicherheit und gutes Leben. Verloren gegen uns.«
Ravic dachte, er könne nicht sprechen. Er glaubte, wenn
er sprechen würde, würde er sein Glas hochreißen, es gegen den Tisch kippen,
daß es am Rande brach, und die spitzen Scherben Haake in die Augen schlagen. Er
nahm vorsichtig und mit Mühe das Glas, trank es aus und stellte es ruhig wieder
nieder.
»Was ist das?« fragte Haake.
»Pernod. Ersatz für Absinth.«
»Ah, Absinth. Das Zeug, das die Franzosen impotent macht,
was?« Haake schmunzelte. »Entschuldigen Sie! War nicht persönlich gemeint.«
»Absinth ist verboten«, sagte Ravic. »Dies hier ist
harmloser Ersatz. Absinth soll steril machen, nicht impotent. Deshalb ist er
verboten. Das hier ist Anis. Schmeckt wie Lakritzenwasser.«
Es ging, dachte er. Es ging, ohne viel Erregung sogar. Er
konnte antworten, leicht und glatt. Da war ein Wirbel, tief in ihm, sausend und
schwarz – aber die Oberfläche war ruhig. »Leben Sie hier?« fragte Haake.
»Ja.«
»Lange?«
»Immer.«
»Verstehe«, sagte Haake. »Auslandsdeutscher. Hier
geboren, wie?« Ravic nickte.
Haake trank seinen Fine. »Einige unserer Besten sind
Auslandsdeutsche. Der Vertreter des Führers – in Ägypten geboren. Rosenberg in
Rußland. Darre aus Argentinien. Die Gesinnung macht es, wie?«
»Nur«, erwiderte Ravic.
»Dachte ich mir.« Haakes Gesicht atmete Zufriedenheit.
Dann machte er eine leichte Verbeugung über den Tisch, und es schien, als
klappte er dabei unter dem Tisch die Hacken zusammen. »Übrigens – gestatten –
von Haake.«
Ravic wiederholte die Zeremonie. »Horn.« Es war eines
seiner früheren Pseudonyme.
»Von Horn?« fragte Haake.
»Ja.«
Haake nickte. Er wurde vertraulicher. Er hatte einen Mann
seiner eigenen Klasse getroffen. »Sie kennen Paris sicher gut, wie?«
»Ziemlich.«
»Ich meine: nicht die Museen.« Haake grinste
weltmännisch.
»Ich weiß, was Sie meinen.«
Der arische Herrenmensch möchte wahrscheinlich sumpfen
gehen und kennt sich nicht aus, dachte Ravic. Wenn er ihn irgendwo hinkriegen
könnte, in eine abgelegene Ecke, eine einsame Kneipe, eine verlorene Hurenbude
– er überlegte rasch. Irgendwohin, wo er nicht gestört und gehindert werden
könnte.
»Hier gibt es allerlei, wie?« fragte Haake.
»Sind Sie noch nicht lange in Paris?«
»Ich komme alle zwei Wochen für zwei oder drei Tage
herüber. Art von Kontrolle. Ziemlich wichtig. Wir haben im letzten Jahr hier
allerlei aufgebaut. Klappt fabelhaft. Kann nicht darüber reden, aber …« Haake
lachte, »… hier kann man fast alles kaufen. Eine korrupte Bande. Wir wissen
beinahe alles, was wir wollen. Brauchen nicht einmal danach suchen. Sie bringen
es selbst. Vaterlandsverrat als eine Art von Patriotismus. Folge des
Parteisystems. Jede Partei verrät die andere und das Land, um für sich zu
profitieren. Unser Vorteil. Wir haben hier eine Menge Gesinnungsgenossen. In
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