E.M. Remarque
Kreisen.« Er hob sein Glas, examinierte es, fand es leer und
stellte es wieder zurück. »Sie rüsten hier nicht einmal. Glauben, daß wir
nichts von ihnen verlangen werden, wenn sie nicht gerüstet sind. Wenn Sie die
Ziffern ihrer Flugzeuge und Tanks wüßten … Sie würden sich totlachen über diese
Selbstmordkandidaten.«
Ravic hörte ihm zu. Er
war äußerst konzentriert, und trotzdem schwamm alles um ihn herum, wie ein
Traum gerade vor dem Erwachen. Die Tische, die Kellner, der süße, abendliche
Aufruhr des Lebens, die gleitenden Autoreihen, der Mond über den Häusern, die
bunten Lichtreklamen an den Häuserfronten – und der redselige, vielfache Mörder
ihm gegenüber, der sein Leben zerstört hatte.
Zwei Frauen in knappen Tailormade-Kostümen kamen vorüber.
Sie lächelten Ravic zu. Es waren Yvette und Marthe aus der Osiris. Sie hatten
ihren freien Tag.
»Schick, Donnerwetter«, sagte Haake.
Eine Seitenstraße, dachte Ravic. Eine schmale, leere
Seitenstraße – wenn ich ihn dahin bekommen könnte. Oder ins Bois. »Das sind
zwei Damen, die von der Liebe leben«, sagte er.
Haake sah ihnen nach. »Sehen gut aus. Sie wissen sicher
ziemlich gut darüber Bescheid hier, wie?« Er bestellte einen zweiten Fine.
»Darf ich Sie zu einem einladen?«
»Danke, ich will lieber bei diesem bleiben.«
»Es soll hier ja fabelhafte Buden geben. Tolle Plätze mit
Vorführungen und so was.« Haakes Augen glitzerten. Sie glitzerten wie damals,
vor Jahren, im kahlen Licht des Gestapokellers.
Ich darf nicht daran denken, dachte Ravic. Nicht jetzt. »Waren
Sie nie in einer?« fragte er.
»Ich war in einigen. Studienhalber, natürlich. Mal sehen,
wie weit ein Volk sinken kann. Aber sicher nicht in den richtigen. Ich muß
natürlich vorsichtig sein. Könnte falsch ausgelegt werden.«
Ravic nickte. »Davor brauchen Sie keine Sorge zu haben.
Es gibt Plätze, wohin nie ein Tourist kommt.«
»Kennen Sie sich da aus?«
»Natürlich. Gut sogar.«
Haake trank seinen zweiten Fine. Er wurde vertraulicher.
Die Hemmungen, die er in Deutschland gehabt hätte, fielen fort. Ravic spürte,
daß er vollkommen ahnungslos war. »Ich hatte gerade vor, heute ein bißchen
herumzugehen«, sagte er zu Haake.
»Wirklich?«
»Ja. Ich mache das ab und zu. Man soll alles kennen, was
man kennenlernen kann.«
»Richtig! Durchaus richtig!«
Haake sah ihn einen Augenblick starr an. Betrunken
machen, dachte Ravic. Wenn es nicht anders geht, betrunken machen und
irgendwohin schleppen.
Haakes Ausdruck hatte sich geändert. Er war nicht
angetrunken; er hatte nur nachgedacht. »Schade«, sagte er schließlich. »Ich
hätte gern mitgemacht.«
Ravic erwiderte nichts. Er wollte alles vermeiden, was
Haake mißtrauisch machen konnte.
»Ich muß heute nacht zurück nach Berlin.« Haake sah auf
die Uhr. »In anderthalb Stunden.«
Ravic saß völlig ruhig. Ich muß mitgehen, dachte er.
Sicher wohnt er in einem Hotel. Nicht privat. Ich muß mitgehen in sein Zimmer
und ihn da erwischen.
»Ich warte hier auf zwei Bekannte«, sagte Haake. »Müssen
gleich kommen. Sie fahren mit mir. Meine Sachen sind schon am Bahnhof. Wir
gehen gleich von hier aus zum Zug.«
Aus, dachte Ravic. Warum hab’ ich keinen Revolver bei
mir? Warum habe ich Idiot in den letzten Monaten geglaubt, damals das hier sei
doch eine Täuschung gewesen? Ich könnte ihn auf der Straße erschießen und
versuchen, durch den Untergrundeingang zu entkommen.
»Schade«, sagte Haake. »Aber vielleicht können wir es das
nächstemal machen. Ich bin in zwei Wochen wieder hier.«
Ravic atmete wieder.
»Gut«, sagte er.
»Wo wohnen Sie? Ich könnte Sie dann ja mal anrufen.«
»Im ›Prince de Galles‹. Gleich drüben an der Straße.«
Haake zog sein
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