E.M. Remarque
seinem
Anzug.«
Ravic öffnete den Schrank. Er war leer. »Nun?« fragte er
den Wirt.
Der Wirt wandte sich
an den Valet: »Nun?« fauchte er.
»Der Anzug ist draußen«, stotterte der Valet.
»Warum?«
»Zum Bürsten und Reinigen.«
»Das braucht er wohl nicht mehr«, sagte Ravic.
»Bring ihn sofort herein, verdammter Dieb«, schnauzte der
Wirt.
Der Hausdiener gab ihm einen kuriosen, zwinkernden Blick
und ging. Gleich darauf brachte er den Anzug herein. Ravic schüttelte das
Jackett, dann die Hose. Es klirrte in der Hose. Ravic zögerte einen Moment.
Sonderbar, in die Hosentasche eines toten Mannes zu greifen. Als wäre der Anzug
mitgestorben. Und sonderbar, so zu denken. Ein Anzug war ein Anzug.
Er nahm die Schlüssel heraus und öffnete die Koffer.
Obenauf lag eine Segeltuchmappe. »Ist es diese?« fragte er die Frau. Sie
nickte.
Ravic fand die Rechnung sofort. Sie war quittiert. Er
zeigte sie dem Wirt. »Sie haben eine Woche zuviel gerechnet.«
»So?« schnappte der Patron zurück. »Und dann der Ärger?
Die Schweinerei? Die Aufregung? Das ist wohl nichts, was? Daß ich meine Galle
wieder fühle, das ist wohl inbegriffen, wie? Sie haben ja selbst gesagt, daß
Gäste ausziehen werden! Der Schaden ist viel höher! Und das Bett? Das Zimmer,
das ausgeschwefelt werden muß? Das Bettuch, das verdreckt ist?«
»Das Bettuch ist auf der Rechnung. Außerdem ein Diner für
fünfundzwanzig Frank, das er gestern abend noch gegessen haben soll. Haben Sie
etwas gegessen gestern?« fragte er die Frau.
»Nein. Aber kann ich es nicht einfach bezahlen? Es ist …
ich möchte es rasch erledigen.«
Rasch erledigen, dachte Ravic. Wir kennen das. Und dann –
die Stille und der Tote. Die Keulenschläge des Schweigens. Besser so – wenn es
auch scheußlich ist. Er nahm einen Bleistift vom Tisch und rechnete. Dann gab
er die Rechnung an den Wirt zurück.
»Einverstanden?«
Der Patron warf einen Blick auf die Endziffer. »Ich bin
doch nicht verrückt?«
»Einverstanden?« fragte Ravic noch einmal.
»Wer sind Sie überhaupt? Was mischen Sie sich hier ein?«
»Ich bin der Bruder«, sagte Ravic. »Einverstanden?«
»Plus zehn Prozent Service und Steuer. Sonst nicht.«
»Gut.« Ravic fügte die Zahl hinzu. »Sie haben
zweihundertzweiundneunzig Frank zu zahlen«, sagte er zu der Frau.
Sie nahm drei Hundert-Frank-Scheine aus der Tasche und
gab sie dem Wirt, der sie nahm und sich zum Gehen wandte. »Um sechs Uhr muß das
Zimmer geräumt sein. Sonst rechnet es für einen andern Tag.«
»Acht Frank zurück«, sagte Ravic.
»Und der Concierge?«
»Den zahlen wir selbst. Die Trinkgelder auch.«
Der Wirt zahlte
mürrisch acht Frank auf den Tisch. »Sales etrangers«, murmelte er und verließ
das Zimmer.
»Der Stolz mancher französischer Hoteliers besteht darin,
daß sie die Fremden hassen, von denen sie leben.« Ravic bemerkte den
Hausknecht, der mit einem Trinkgeldgesicht noch an der Tür stand. »Hier ...«
Der Valet besah den Schein zuerst. »Merci, Monsieur«,
erklärte er dann und ging.
»Jetzt kommt noch die Polizei, und dann kann er abgeholt
werden«, sagte Ravic und sah die Frau an. Sie saß still in der Ecke zwischen
den Koffern in der leise einfallenden Dämmerung. »Wenn man tot ist, ist man
sehr wichtig … wenn man lebt, kümmert sich niemand.«
Er sah die Frau noch einmal an. »Wollen Sie nicht
hinuntergehen? Es muß unten so etwas wie ein Schreibraum sein.« Sie schüttelte
den Kopf.
»Ich kann mit Ihnen gehen. Ein Freund von mir kommt her,
um die Sache mit der Polizei zu erledigen. Doktor Veber. Wir können unten auf
ihn warten.«
»Nein. Ich möchte hierbleiben.«
»Sie können nichts tun. Warum wollen Sie hierbleiben?«
»Ich weiß nicht. Er … wird nicht mehr lange dasein. Und
ich bin oft … er war nicht glücklich mit mir. Ich war oft fort. Jetzt will ich
hierbleiben.«
Sie sagte das ruhig,
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