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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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steck­te es in die Sei­ten­ta­sche sei­nes Man­tels.
»Ge­hen Sie gleich schla­fen«, sag­te er. »Mor­gen sieht al­les an­ders aus. Es
klingt al­bern und ab­ge­grif­fen, aber es ist wahr; al­les, was Sie jetzt brau­chen,
ist Schlaf und et­was Zeit. Ei­ne ge­wis­se Zeit, die Sie über­ste­hen müs­sen. Wis­sen
Sie das?«
    »Ja, ich weiß es.«
    »Neh­men Sie die Ta­blet­ten und schla­fen Sie.«
    »Ja. Dan­ke. Dan­ke für al­les – ich weiß nicht, was ich
ge­tan hät­te oh­ne Sie. Ich weiß es wirk­lich nicht.«
    Sie gab ihm die Hand. Sie war kühl, aber sie hat­te einen
fes­ten Druck. Gut, dach­te er. Et­was von ei­nem Ent­schluß ist schon da.
    Ra­vic trat auf die Stra­ße hin­aus. Er at­me­te den Wind, der
feucht und weich war. Au­to­mo­bi­le, Men­schen, ein paar frem­de Hu­ren be­reits an
den Ecken, Bras­se­ri­en, Bistros, der Ge­ruch nach Ta­bak, Ape­ri­tifs und Ben­zin –
schwan­ken­des, ra­sches Le­ben. Er blick­te die Haus­front hin­auf. Ein paar
er­leuch­te­te Fens­ter. Hin­ter ei­nem da­von saß jetzt die Frau und starr­te vor sich
hin. Er zog den Zet­tel mit dem Na­men aus der Ta­sche, zer­riß ihn und warf ihn
fort. Ver­ges­sen. Welch ein Wort. Voll von Grau­en, Trost und Ge­spens­te­rei! Wer
konn­te le­ben, oh­ne zu ver­ges­sen? Aber wer konn­te ge­nug ver­ges­sen? Die Schla­cken
der Er­in­ne­rung, die das Herz zer­ris­sen. Erst wenn man nichts mehr hat­te, für
das man leb­te, war man frei.
    Er ging zum Etoi­le. Ei­ne große Men­schen­men­ge füll­te den
Platz. Hin­ter dem Arc de Triom­phe wa­ren Schein­wer­fer. Sie be­leuch­te­ten das Grab
des Un­be­kann­ten Sol­da­ten. Ei­ne rie­si­ge blau­weiß­ro­te Fah­ne weh­te dar­über im Win­de.
Es war der zwan­zigs­te Jah­res­tag des Waf­fen­still­stan­des von 1918.
    Der Him­mel war be­deckt, und die Strah­len der Schein­wer­fer
war­fen den Schat­ten der Fah­ne matt, ver­wischt und zer­ris­sen ge­gen die zie­hen­den
Wol­ken. Es sah aus, als ver­sin­ke dort ein zer­fetz­tes Ban­ner in der lang­sam
tiefer wer­den­den Dun­kel­heit. Ei­ne Mi­li­tär­ka­pel­le spiel­te ir­gend­wo. Es klang
dünn und ble­chern. Nie­mand sang. Die Men­ge stand schwei­gend.
»Waf­fen­still­stand«, sag­te ei­ne Frau ne­ben Ra­vic. »Mein Mann ist im letz­ten
Krieg ge­fal­len. Jetzt ist mein Sohn dran. Waf­fen­still­stand. Wer weiß, was noch
kom­men wird ...«

4
    4    Die
Fie­ber­ta­bel­le über dem Bett war neu und leer. Nur der Na­me stand dar­auf.
Lu­ci­enne Mar­ti­net. But­te Chau­mont, Rue Cla­vel.
    Das Mäd­chen lag grau in den Kis­sen. Es war am Abend
vor­her ope­riert wor­den. Ra­vic prüf­te vor­sich­tig das Herz. Dann rich­te­te er sich
auf. »Bes­ser«, sag­te er. »Die Blut­über­tra­gung hat ein klei­nes Wun­der ge­wirkt.
Wenn sie bis mor­gen durch­hält, hat sie ei­ne Chan­ce.«
    »Gut«, sag­te Ve­ber. »Gra­tu­lie­re. Es sah nicht so aus.
Hun­dert­vier­zig Puls und acht­zig Blut­druck! Cof­fe­in, Cora­min – das war ver­dammt
na­he dar­an.«
    Ra­vic zuck­te die Ach­seln. »Da ist nichts zu gra­tu­lie­ren.
Sie ist frü­her ge­kom­men als die an­de­re. Die mit der Gold­ket­te um den Fuß. Das
ist al­les.«
    Er deck­te das Mäd­chen zu. »Das ist der zwei­te Fall in
ei­ner Wo­che. Wenn es so wei­ter­geht, wer­den Sie noch ei­ne Kli­nik für ver­pfusch­te
Ab­or­te in der But­te Chau­mont. War die an­de­re nicht auch da­her?«
    Ve­ber nick­te. »Ja, auch von der Rue Cla­vel. Kann­ten sich
wahr­schein­lich und wa­ren bei der­sel­ben Heb­am­me. Kam so­gar um die­sel­be Zeit,
abends, wie die an­de­re. Gut, daß ich Sie noch im Ho­tel er­reicht ha­be. Dach­te
schon, Sie wä­ren nicht mehr da.«
    Ra­vic sah ihn an. »Wenn man im Ho­tel wohnt, ist man
meis­tens abends nicht da, Ve­ber – Ho­tel­zim­mer im No­vem­ber sind nichts be­son­ders
Trost­vol­les.«
    »Das kann ich mir vor­stel­len. Aber wes­halb woh­nen Sie
dann ei­gent­lich im­mer im Ho­tel?«
    »Es ist be­quem und un­per­sön­lich. Man ist al­lein und doch
nicht al­lein.«
    »Wol­len Sie das?«
    »Ja.«
    »Das kön­nen Sie
an­ders­wie doch auch. Wenn Sie sich ein klei­nes Ap­par­te­ment mie­ten, ha­ben Sie es
doch eben­so.«
    »Viel­leicht.« Ra­vic beug­te sich über das

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