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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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sah das Ge­sicht des To­ten an; er hat­te kein
Lip­pen­rou­ge auf den Lip­pen. Er sah auch nicht so aus. Die Au­gen wa­ren halb
of­fen; ei­nes mehr als das an­de­re – das gab dem Kör­per einen sehr gleich­gül­ti­gen
Aus­druck, als wä­re er in ei­ner ewi­gen Lan­ge­wei­le er­starrt.
    Ra­vic beug­te sich über ihn. Er mus­ter­te die Fla­schen auf
dem Tisch ne­ben dem Bett und un­ter­such­te den Kör­per. Kei­ne Spur ir­gend­ei­ner
Ge­walt. Er rich­te­te sich auf. »Wie hieß der Arzt, der hier war?« frag­te er die
Frau. »Wis­sen Sie sei­nen Na­men?«
    »Nein.«
    Er sah sie an. Sie war sehr blaß. »Set­zen Sie sich ein­mal
da her­über. Dort drü­ben auf den Stuhl in der Ecke. Und blei­ben Sie dort sit­zen.
Ist der Kell­ner hier, der Ih­nen den Arzt be­sorgt hat?«
    Er blick­te auf die Ge­sich­ter in der Tür. Auf al­len lag
der glei­che Aus­druck: Grau­en und Gier. »François hat die Eta­ge«, sag­te die
Scheu­er­frau, die einen Be­sen wie einen Speer in der Hand hielt.
    »Wo ist François?«
    Ein Kell­ner dräng­te sich durch. »Wie hieß der Arzt, der
hier war?«
    »Bon­net. Charles Bon­net.«
    »Ha­ben Sie sei­ne Te­le­fon­num­mer?«
    Der Kell­ner kram­te sie her­vor. »Pas­sy 27 43.«
    »Gut.« Ra­vic sah, daß das Ge­sicht des Wir­tes auf­tauch­te.
»Wir wol­len jetzt ein­mal die Tür schlie­ßen. Oder ha­ben Sie ein In­ter­es­se dar­an,
daß man auch noch von der Stra­ße her­ein­kommt?«
    »Nein! ’raus! Al­le ’raus! Was steht ihr über­haupt hier
’rum und stehlt die Zeit, die ich euch be­zah­le?«
    Der Wirt trieb die An­ge­stell­ten hin­aus und schloß die
Tür. Ra­vic nahm das Te­le­fon ab. Er rief Ve­ber an und sprach ei­ne Wei­le mit ihm.
Dann rief er die Pas­sy-Num­mer an. Bon­net war in sei­nem Sprech­zim­mer. Er
be­stä­tig­te, was die Frau ge­sagt hat­te. »Der Mann ist ge­stor­ben«, sag­te Ra­vic.
»Kön­nen Sie her­über­kom­men, den To­ten­schein aus­stel­len?«
    »Der Mann hat mich her­aus­ge­wor­fen. In der be­lei­di­gends­ten
Wei­se.«
    »Er wird Sie jetzt nicht mehr be­lei­di­gen.«
    »Er hat mir mein Ho­no­rar nicht be­zahlt. Da­für hat er mich
einen hab­gie­ri­gen Kur­pfu­scher ge­nannt.«
    »Wür­den Sie kom­men, da­mit man Ih­nen die Rech­nung be­zahlt?«
    »Ich kann je­mand schi­cken.«
    »Es ist bes­ser, Sie kom­men selbst. Sonst be­kom­men Sie Ihr
Geld nie.«
    »Gut«, sag­te Bon­net nach ei­ni­gem Zö­gern. »Aber ich
un­ter­schrei­be nichts, ehe ich nicht be­zahlt bin. Drei­hun­dert Frank macht es.«
    »Schön. Drei­hun­dert
Frank. Sie wer­den sie be­kom­men.«
    Ra­vic häng­te ab. »Tut mir leid, daß Sie das mit an­hö­ren
muß­ten«, sag­te er zu der Frau. »Es war nicht an­ders zu ma­chen. Wir brau­chen den
Mann.« Die Frau hol­te be­reits ei­ni­ge Schei­ne her­vor. »Es macht nichts«,
er­wi­der­te sie. »So et­was ist nichts Neu­es für mich. Hier ist das Geld.«
    »War­ten Sie noch da­mit. Er kommt gleich. Sie kön­nen es
ihm dann ge­ben.«
    »Kön­nen Sie den To­ten­schein nicht selbst aus­stel­len?«
frag­te die Frau.
    »Nein«, sag­te Ra­vic. »Da­zu brau­chen wir einen
fran­zö­si­schen Arzt. Am ein­fachs­ten den, der ihn be­han­delt hat.«
    Als Bon­net die Tür hin­ter sich schloß, wur­de es plötz­lich
still. Viel stil­ler, als wenn nur ein ein­zel­ner Mensch das Zim­mer ver­las­sen
hät­te. Der Au­tolärm von der Stra­ße be­kam et­was Ble­cher­nes, als pral­le er ge­gen
ei­ne Wand schwe­rer Luft, durch die er nur müh­sam si­cker­te. Nach dem Hin und Her
der Stun­de vor­her be­gann der To­te jetzt zum ers­ten Ma­le da­zu­sein. Sein
mäch­ti­ges Schwei­gen füll­te den bil­li­gen Raum, und es war gleich­gül­tig, ob er
glän­zend ro­te Sei­den­py­ja­mas trug – er herrsch­te, wie selbst ein to­ter Clown
herrscht – weil er sich nicht mehr be­weg­te. Was leb­te, be­weg­te sich – und was
sich be­weg­te, konn­te Kraft ha­ben und Gra­zie und Lä­cher­lich­keit – aber nicht die
frem­de Ma­je­stät des­sen, das sich nie mehr be­we­gen, son­dern nur noch zer­fal­len
konn­te. Das Vollen­de­te al­lein hat­te es – und der Mensch war nur im To­de
vollen­det – und nur für kur­ze Zeit.
    »Sie wa­ren nicht ver­hei­ra­tet?« frag­te Ra­vic.
    »Nein.

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