E.M. Remarque
standen auf vier Uhr zwanzig. Plötzlich sprang er aus dem
Bett. Joan hatte, als er Haake traf, etwas gesagt – von Gefahr, Angst. – Wenn …
es war alles möglich! Er hatte schon Blödsinnigeres gesehen. Er packte eilig
das Nötigste zusammen und zog sich an.
Er fand ein Taxi an der nächsten Ecke. Der Fahrer hatte
einen kleinen Rehpinscher bei sich. Der Hund lag wie ein Pelzkragen um die
Schultern des Mannes. Er schwankte mit, wenn das Taxi schwankte. Es machte
Ravic verrückt. Er hätte den Hund am liebsten auf den Sitz geworfen. Aber er
kannte die Pariser Taxichauffeure.
Der Wagen ratterte durch die laue Julinacht. Ein
verwehter Geruch von schüchtern atmendem Laub. Geblüht, irgendwo Linden,
Schatten, ein Jasminhimmel voll Sterne, dazwischen ein Flugzeug mit grünen und
roten Blinklichtern, wie ein schwer drohender Käfer zwischen Leuchtfliegen;
fahle Straßen, summende Leere, Gesang von zwei Besoffenen, ein Akkordeon von
einem Keller her, und plötzlich ein Stocken und Angst und peitschende Eile, das
Zerren – zu spät vielleicht…
Das Haus. Laue
Schlafdunkelheit. Der Aufzug kroch herunter. Kroch, ein langsames, helles
Insekt. Ravic war schon auf der ersten Treppe, als er sich besann und umkehrte.
Der Aufzug war schneller, so langsam er auch war.
Diese Spielzeuglifts von Paris! Flimsige Gefängnisse,
knarrend, hustend, oben offen, nach den Seiten offen, nichts als ein Boden mit
ein paar Eisenstreben, eine Birne, halb ausgebrannt, trübe flackernd, lose im
Kontakt die andere – endlich das oberste Stockwerk. Er schob das Gitter auf,
klingelte.
Joan öffnete. Ravic starrte sie an. Kein Blut – das
Gesicht normal, nichts. »Was ist los?« fragte er. »Wo ist...«
»Ravic. Du bist gekommen!«
»Wo ist … hast du irgend etwas gemacht?«
Sie trat zurück. Er machte ein paar Schritte. Übersah den
Raum. Niemand da. »Wo? Im Schlafzimmer?«
»Was?« fragte sie.
»Ist jemand im Schlafzimmer? Hast du jemand da?«
»Nein. Warum?«
Er sah sie an. »Ich werde doch niemand hier haben, wenn
du kommst«, sagte sie.
Er sah sie immer noch an. Sie stand da, gesund, und
lächelte ihn an. »Wie kommst du darauf?« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Ravic«,
sagte sie, und er spürte, als schlüge ihm Hagel ins Gesicht, daß sie glaubte,
er sei eifersüchtig, und daß sie es genoß. Die Tasche mit den Instrumenten in
seiner Hand wog plötzlich einen Zentner. Er stellte sie auf einen Stuhl. »Du
gottverdammtes Luder«, sagte er.
»Was? Was hast du?« – »Du gottverdammtes Luder«,
wiederholte er. »Und ich Esel, darauf hereinzufallen.«
Er nahm die Tasche wieder auf und drehte sich zur Tür. Sie war sofort neben ihm. »Was willst du? Geh nicht! Du kannst mich nicht
allein lassen! Ich weiß nicht, was passiert, wenn du mich allein läßt!«
»Lügnerin«, sagte er. »Jammervolle Lügnerin! Es macht
nichts, daß du lügst, aber daß du es so billig tust, ist zum Kotzen. Mit so
etwas spielt man nicht!«
Sie drängte ihn von der Tür weg. »Aber sieh dich doch um!
Es ist etwas passiert! Du kannst es doch selbst sehen! Sieh doch, wie er getobt
hat. Und ich habe Angst, daß er wiederkommt! Du weißt nicht, was er tun kann.«
Ein Stuhl lag am Boden. Eine Lampe. Ein paar zerbrochene
Scherben Glas. »Zieh dir die Schuhe an, wenn du herumgehst«, sagte Ravic.
»Damit du dich nicht schneidest. Das ist alles, was ich dir raten kann.«
Zwischen den Scherben lag eine Fotografie. Er schob das
Glas mit dem Fuß beiseite und hob die Fotografie auf. »Hier …« Er warf sie auf
den Tisch. »Und nun laß mich in Ruhe.«
Sie stand vor ihm. Sie sah ihn an. Ihr Gesicht hatte sich
verändert. »Ravic«, sagte sie leise und unterdrückt. »Ich mache mir nichts
daraus, wie du mich nennst. Ich habe oft gelogen. Und ich werde weiter lügen.
Ich wollte es ja so.« Sie gab dem Foto einen Stoß. Es glitt über den Tisch und
fiel so,
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