E.M. Remarque
breitend – und gleich darauf eine Vision aus
Purpur, Blau und allem Braun –, ein Orden der Nacht, an dem seidenen Schirm
hängend, hereingeweht – ein buntes Nachtpfauenauge. Die Samtflügel atmeten
leise – leise, wie die Brust gegenüber unter dem dünnen Stoff des Kleides –
wann war das doch schon einmal so gewesen, endlose Zeiten, hundert Jahre
vorbei?
Das Louvre. Die Nike. Nein, viel früher. Zurück zu einer
Urdämmerung aus Staub und Gold. Rauch von Topaz-Altären; lauter das Rumoren von
Vulkanen, dunkler der Vorhang aus Verschattung und Brunst und Blut, kleiner das
Boot der Erkenntnis, kochender der Strudel, glänzender die Lava,
schwarzfingrig die Hänge hinabkriechend, Leben verschüttend, fressend – und
darüber das ewige Lächeln der Meduse auf die paar flüchtigen Hieroglyphen im
Sande der Zeit: Geist.
Der Falter hob sich, glitt unter die Seide und begann,
sich die Flügel an der heißen elektrischen Birne zu zerschlagen. Violetter
Puder. Ravic nahm ihn, trug ihn zum Fenster und warf ihn in die Nacht.
»Er wird wiederkommen«, sagte Joan.
»Vielleicht auch nicht.«
»Sie kommen jede Nacht. Sie kommen aus den Anlagen. Immer
dieselben. Vor ein paar Wochen waren es zitronengelbe. Jetzt sind es diese.«
»Ja. Immer dieselben. Und immer andere. Und immer andere
und immer dieselben.«
Was redete er da. Etwas hinter ihm redete. Eine Resonanz,
ein Echo, hallend von weit her, hinter einer letzten Hoffnung. Was hatte er
gehofft? Was schlug ihn plötzlich in dieser schwachen Stunde, was schnitt wie
ein Skalpell irgendwo durch, wo er längst gesunde Muskeln geglaubt hatte? War
versteckt, verlarvt, verpuppt, winterschlafend immer noch – eine Erwartung,
lebendig geblieben, die er hatte täuschen wollen? Er nahm das Foto hoch, das
auf dem Tisch lag. Ein Gesicht. Irgendein Gesicht. Eines von Millionen.
»Seit wann?« fragte er.
»Noch nicht lange. Wir arbeiten zusammen. Vor ein paar
Tagen. Nachdem du bei Fouquet’s ...«
Er hob die Hand. »Gut, gut! Ich weiß! Hätte ich an diesem
Abend … du weißt, daß es nicht wahr ist.«
Sie zögerte. »Nein ...«
»Du weißt es! Lüge nicht! Nichts, was wichtig ist, hat
einen so kurzen Atem.«
Was wollte er hören? Wozu sagte er das? Wollte er nicht
doch noch eine barmherzige Lüge hören? »Es ist wahr und es ist nicht wahr«,
sagte sie. »Ich kann mir nicht helfen, Ravic. Es treibt mich. Es ist, als
versäumte ich etwas. Ich greife es, ich muß es haben, und damit ist es nichts.
Und ich greife nach etwas Neuem. Ich weiß im voraus, daß es enden wird, wie das
andere, aber ich kann es nicht lassen. Es treibt mich, es wirft mich
irgendwohin, es füllt mich eine Zeitlang, und es läßt mich los und macht mich
wieder leer, wie Hunger, und dann kommt es wieder.«
Verloren, dachte Ravic. Wirklich und jetzt ganz verloren.
Kein Irrtum mehr, kein Verstricktsein, kein Erwachen, kein Zurückkommen. Es war
gut, es zu wissen, wenn die Dämpfe der Phantasie wieder beginnen würden, die
Linsen der Erkenntnis zu trüben.
Die sanfte, unerbittliche, trostlose Chemie! Blut, das
einmal ineinander gestürzt war, konnte es nie gleich stark wieder. Was Joan
immer noch hielt und ab und zu zurücktrieb zu ihm, war ein Rest in ihm, den sie
noch nicht durchdrungen hatte. Wenn sie ihn durchdrungen haben würde, würde sie
gehen für immer. Wer wollte darauf warten? Wer damit zufrieden sein? Wer sich
aufgeben dafür?
»Ich wollte, ich wäre so stark wie du, Ravic.«
Er lachte. Das auch
noch. »Du bist viel stärker als ich.«
»Nein. Du siehst ja, wie ich hinter dir herlaufe.«
»Das zeigt es gerade. Du kannst dir das erlauben. Ich
nicht.«
Sie sah ihn einen Moment aufmerksam an. Dann erlosch die
Helligkeit, die ihr Gesicht überflogen hatte.
»Du kannst nicht lieben«, sagte sie. »Du gibst dich nie
her.«
»Du
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