E.M. Remarque
nennen ihn den Totenvogel. Er
riecht, wenn man fliehen muß.«
»Meyer?« sagte Ravic. »Ist das der kleine Kahlkopf, der
ab und zu in der Katakombe Klavier spielt?«
»Ja. Er heißt der Totenvogel – seit Prag.«
»Guter Name.«
»Er hat es immer gerochen. Zwei Monate vor Hitler ging
er’ aus Deutschland heraus. Drei Monate vor den Nazis aus Wien. Sechs Wochen
vor dem Einmarsch aus Prag. Ich habe mich an ihn gehalten. Immer. Er riecht es.
Dadurch habe ich die Bilder gerettet.
Geld konnte man aus Deutschland ja nicht mehr mitnehmen.
Sperrmark. Hatte anderthalb Millionen angelegt. Versuchte, sie flüssig zu
machen. Dann kamen die Nazis, und es war zu spät. Meyer war klüger. Schmuggelte
einen Teil ’raus. Ich hatte nicht die Nerven. Und jetzt geht er nach Amerika.
Ich auch. Schade um den Monet.«
»Sie können doch den Rest des Geldes, das Sie dafür
bekommen haben, mitnehmen. Hier gibt es noch keine Sperrfrank.«
»Ja. Aber wenn ich es drüben verkauft hätte, hätte ich
länger davon leben können. So aber muß ich wahrscheinlich bald den Gauguin
opfern.«
Rosenfeld fummelte an seinem Spirituskocher herum. »Es
sind die letzten«, sagte er. »Nur noch diese drei. Ich muß davon leben. Arbeit
– damit rechne ich nicht. Das wäre ein Wunder. Nur noch drei. Eines weniger ist
ein Stück Leben weniger.«
Er stand dürftig vor seinem Koffer. »In Wien – fünf
Jahre; es war noch nicht teuer, ich konnte billig leben; aber es hat mich zwei
Renoirs und ein Degas-Pastell gekostet. In Prag habe ich einen Sisley und fünf
Zeichnungen verwohnt und aufgegessen. Kein Mensch wollte etwas für Zeichnungen
geben – es waren zwei Degas, eine Kreide von Renoir und zwei Sepias von
Delacroix. In Amerika hätte ich ein Jahr länger davon leben können. Sehen Sie«,
sagte er ziemlich trostlos, »jetzt habe ich nur noch diese drei Bilder. Gestern
waren es noch vier. Dieses Visum kostet mich zwei Jahre Leben mindestens. Wenn
nicht drei!«
»Es gibt eine Menge Leute, die haben keine Bilder, um
davon zu leben.«
Rosenfeld hob die mageren Schultern. »Das ist kein
Trost.«
»Nein«, sagte Ravic. »Das ist wahr.«
»Ich muß damit über den Krieg wegkommen. Und der Krieg
wird lange dauern.«
Ravic antwortete nicht. »Der Totenvogel behauptet es«,
sagte Rosenfeld. »Und er weiß nicht einmal, ob Amerika sicher bleiben wird.«
»Wohin will er dann?« fragte Ravic. »Da ist nicht mehr
viel übrig.«
»Er weiß es noch nicht genau. Er denkt an Haiti. Er
glaubt nicht, daß eine Negerrepublik in den Krieg gehen wird.«
Rosenfeld war völlig ernst. »Oder Honduras. Eine kleine,
südamerikanische Republik. San Salvador. Neuseeland vielleicht auch.«
»Neuseeland. Das ist ziemlich weit weg – wie?«
»Weit?«
sagte Rosenfeld trübe lächelnd. »Von wo?«
27
27 Ein
Meer. Ein Meer donnernder Finsternis, das gegen die Ohren klatschte. Dann
das schrille Klingeln durch Gänge, ein Schiff, tosend mit Untergang, klingelnd
– und Nacht, das bleichere Fenster, vertraut in den weichenden Schlaf
hineinlehnend, das Klingeln immer noch – Telefon.
Ravic hob den Hörer ab. »Hallo ...«
»Ravic ...«
»Was ist los? Wer ist da?«
»Ich. Erkennst du mich nicht?«
»Ja, jetzt. Was ist los?«
»Du mußt kommen! Rasch! Sofort!«
»Was ist los?«
»Komm, Ravic! Es ist etwas passiert!«
»Was ist passiert?«
»Es ist etwas passiert! Ich habe Angst! Komm! Komm
sofort! Hilf mir! Ravic! Komm!«
Das Telefon klickte. Ravic wartete. Das Freizeichen
surrte. Joan hatte angehängt. Er legte den Hörer zurück und starrte in die
blasse Nacht. Der künstliche Schlaf hing noch schwer hinter seiner Stirn.
Haake, hatte er zuerst geglaubt. Haake sei es – bis er das Fenster sah und
wußte, er war im »International«, nicht im »Prince de Galles«. Er sah auf die
Uhr. Die Leuchtzeiger
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