E.M. Remarque
Mädchen.
»Finden Sie nicht auch, Eugenie?« fragte Veber.
Die Operationsschwester blickte auf. »Herr Ravic wird das
nie tun«, sagte sie kalt.
»Doktor Ravic, Eugenie«, korrigierte Veber. »Er war
Chefchirurg eines großen Hospitals in Deutschland. Viel mehr als ich.«
»Hier …«, begann die Schwester und rückte ihre Brille
zurecht.
Veber winkte rasch ab. »Gut! Gut! Wir wissen das alles.
Hier erkennt der Staat keine ausländischen Examen an. Blödsinnig genug! Aber
woher wissen Sie so genau, daß er kein Appartement nehmen wird?«
»Herr Ravic ist ein verlorener Mensch; er wird nie ein
Heim gründen.«
»Was?« fragte Veber verblüfft. »Was reden Sie da?«
»Herrn Ravic ist nichts mehr heilig. Das ist der Grund.«
»Bravo«, sagte Ravic vom Bett des Mädchens her.
»Hat man so etwas schon mal gehört?« Veber starrte
Eugenie an.
»Fragen Sie ihn nur selbst, Doktor Veber.«
Ravic richtete sich auf. »Sie haben ins Schwarze
getroffen, Eugenie. Aber wenn einem nichts mehr heilig ist, wird einem alles
auf eine menschlichere Weise wieder heilig. Man verehrt den Funken Leben, der
selbst in einem Regenwurm pulst und ihn ab und zu ans Licht treibt. Das soll
kein Vergleich sein.«
»Sie können mich nicht
treffen. Sie haben keinen Glauben.« Eugenie strich sich energisch den weißen
Kittel über der Brust zurecht. »Ich habe gottlob meinen Glauben.«
Ravic griff nach seinem Mantel. »Glaube macht leicht
fanatisch. Deshalb haben alle Religionen so viel Blut gekostet.« Er grinste
offen. »Toleranz ist die Tochter des Zweifels, Eugenie. Sind Sie mit all Ihrem
Glauben nicht viel aggressiver gegen mich als ich verlorener Ungläubiger gegen
Sie?«
Veber lachte. »Da haben Sie es, Eugenie. Antworten Sie
nicht. Es wird nur noch schlimmer!«
»Meine Würde als Frau ...«
»Gut!« unterbrach Veber sie. »Bleiben Sie dabei!« Das ist
immer gut. Ich muß jetzt fort. Habe noch im Büro zu tun. Kommen Sie, Ravic.
Guten Morgen, Eugenie.«
»Guten Morgen, Doktor Veber.«
»Guten Morgen, Schwester Eugenie«, sagte Ravic.
»Guten Morgen«, erwiderte Eugenie mühsam und erst,
nachdem Veber sich nach ihr umgesehen hatte.
Vebers Büro war vollgestopft mit Möbeln aus der
Empirezeit; weiß, golden und zerbrechlich. Über dem Schreibtisch hingen
Fotografien seines Hauses und seines Gartens. An der Längswand stand eine
breite, moderne Chaiselongue. Veber schlief darauf, wenn er nachts einmal
dablieb. Die Klinik gehörte ihm.
»Was wollen Sie trinken, Ravic? Kognak oder Dubonnet?«
»Kaffee, wenn Sie noch welchen da haben.«
»Natürlich.«
Veber stellte die Maschine auf den Schreibtisch und
schaltete den Kontakt ein. Dann wandte er sich an Ravic.
»Können Sie mich heute nachmittag in der ›Osiris‹
vertreten?«
»Selbstverständlich.«
»Macht es Ihnen nichts?«
»Nicht das geringste. Ich habe nichts vor.«
»Gut. Ich brauche dann nicht extra wieder hereinzufahren.
Kann in meinem Garten arbeiten. Ich hätte Fauchon gefragt, aber er ist in
Urlaub.«
»Unsinn«, sagte Ravic. »Ich habe es doch schon oft genug
gemacht.«
»Das ist richtig. Immerhin ...«
»Immerhin gibt es heutzutage nicht mehr. Nicht für mich.«
»Ja. Idiotisch genug, daß ein Mann mit Ihrem Können hier
nicht offiziell arbeiten darf und sich als schwarzer Chirurg verstecken muß.«
»Aber Veber! Das ist doch schon eine alte Geschichte.
Geht ja allen Ärzten so, die aus Deutschland geflüchtet sind.«
»Trotzdem! Es ist lächerlich! Sie machen Durants
schwierigste Operationen, und er macht sich einen Namen damit.«
»Besser, als wenn er sie selbst machte.«
Veber lachte.
»Ich sollte nicht reden. Sie machen meine ja auch. Aber
schließlich bin ich hauptsächlich Frauenarzt und kein Spezialist als Chirurg.«
Die Kaffeemaschine
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