E.M. Remarque
begann zu pfeifen. Veber stellte sie
ab. Er holte Tassen aus einem Schrank und goß den Kaffee ein. »Eines verstehe
ich nicht, Ravic«, sagte er. »Weshalb wohnen Sie wirklich noch immer in dieser
Bude, dem ›International‹. Warum mieten Sie sich nicht eines dieser neuen
Appartements in der Nähe des Bois? Ein paar Möbel können Sie überall billig
kaufen. Dann wissen Sie doch wenigstens, was Sie haben.«
»Ja«, sagte Ravic. »Dann wüßte ich, was ich hätte.«
»Na also, warum tun Sie es nicht?«
Ravic trank einen Schluck Kaffee. Er war bitter und sehr
stark. »Veber«, sagte er, »Sie sind ein prächtiges Beispiel für die Krankheit
unserer Zeit: bequemes Denken. In einem Atemzug bedauern Sie, daß ich illegal
hier arbeiten muß, und gleichzeitig fragen Sie mich, warum ich kein Appartement
miete.«
»Was hat das eine mit dem andern zu tun?«
Ravic lachte ungeduldig. »Wenn ich ein Appartement nehme,
muß ich bei der Polizei angemeldet werden. Dazu brauche ich einen Paß und ein
Visum.«
»Richtig. Daran habe ich nicht gedacht. Und im Hotel?«
»Da auch. Aber es gibt gottlob einige Hotels in Paris,
die es mit dem Anmelden nicht so genau nehmen.« Ravic goß einen Schluck Kognak
in seinen Kaffee. »Eines davon ist das ›International‹. Deshalb wohne ich da.
Wie die Wirtin das arrangiert, weiß ich nicht. Sie muß gute Verbindungen haben.
Entweder weiß die Polizei es wirklich nicht, oder sie wird geschmiert. Auf
jeden Fall wohne ich schon ziemlich lange ungestört da.«
Veber lehnte sich zurück. »Ravic«, sagte er, »ich wußte
das nicht. Ich dachte nur, Sie dürften hier nicht arbeiten. Das ist ja eine
verdammte Situation.«
»Es ist ein Paradies, verglichen mit einem deutschen
Konzentrationslager.«
»Und die Polizei? Wenn sie doch einmal kommt?«
»Wenn sie uns erwischt, gibt es ein paar Wochen Gefängnis
und Ausweisung über die Grenze. Meistens in die Schweiz. Im Wiederholungsfalle
sechs Monate Gefängnis.«
»Was?«
»Sechs Monate«, sagte Ravic.
Veber starrte ihn an. »Aber das ist doch unmöglich. Das
ist ja unmenschlich.«
»Das dachte ich auch, bis ich es lernte.«
»Wieso lernte? Ist Ihnen denn das schon einmal passiert?«
»Nicht einmal. Dreimal. Ebenso wie hundert andern auch.
Im Anfang, als ich noch nichts davon wußte und auf die sogenannte Humanität
vertraute. Bevor ich nach Spanien ging – wo ich keinen Paß brauchte – und eine
zweite Lektion in angewandter Humanität erhielt. Von deutschen und italienischen
Fliegern. Später, als ich dann wieder hierher zurückkam, wußte ich natürlich
Bescheid.«
Veber stand auf. »Aber um Himmels willen …« Er rechnete.
»Dann sind Sie ja über ein Jahr für nichts im Gefängnis gewesen.«
»Nicht so lange. Nur zwei Monate.«
»Wieso? Sie sagten doch, im Wiederholungsfalle wären es
schon sechs Monate?«
Ravic lächelte. »Es gibt eben keinen Wiederholungsfall,
wenn man Erfahrung hat. Man wird unter einem Namen ausgewiesen und kommt
einfach unter einem andern zurück. Möglichst an einer anderen Stelle der
Grenze. So vermeidet man das. Da wir keine Papiere haben, ist das nur
nachzuweisen, wenn jemand uns persönlich wiedererkennt. Das ist sehr selten.
Ravic ist bereits mein dritter Name. Ich habe ihn seit fast zwei Jahren. Nichts
passiert seitdem. Scheint mir Glück zu bringen. Gewinne ihn täglich lieber.
Meinen wirklichen habe ich schon fast vergessen.«
Veber schüttelte den Kopf. »Und das alles nur, weil Sie
kein Nazi sind.«
»Natürlich. Nazis haben erstklassige Papiere. Und
sämtliche Visa, die sie wollen.«
»Schöne Welt, in der wir leben! Daß die Regierung da
nichts tut.«
»Die Regierung hat einige Millionen Arbeitslose, für die
sie zuerst sorgen muß. Außerdem ist das nicht nur
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