E.M. Remarque
in Frankreich so. Es ist
überall dasselbe.« Ravic stand auf. »Adieu, Veber. In zwei Stunden werde ich
wieder nach dem Mädchen sehen. Nachts auch noch einmal.«
Veber kam ihm nach zur Tür. »Hören Sie, Ravic«, sagte er,
»kommen Sie doch einmal abends zu uns heraus. Zum Essen.«
»Bestimmt.« Ravic wußte, daß er nicht gelten würde. »In
der nächsten Zeit. Adieu, Veber.«
»Adieu, Ravic. Und kommen Sie wirklich.«
Ravic ging ins nächste Bistro. Er setzte sich an ein
Fenster, um auf die Straße blicken zu können. Er liebte das – gedankenlos
dazusitzen und die Leute draußen vorbeigehen zu sehen. Paris war die Stadt, wo
man mit nichts seine Zeit am besten verbringen konnte.
Der Kellner wischte den Tisch ab und wartete. »Einen
Pernod«, sagte Ravic.
»Mit Wasser, mein Herr?«
»Nein. Warten Sie!« Ravic besann sich. »Bringen Sie mir
keinen Pernod.«
Es war da etwas, das er wegspülen mußte. Ein bitterer
Geschmack. Dazu war das süße Anis-Zeug nicht scharf genug.
»Einen Calvados«, sagte er zu dem Kellner. »Einen
doppelten Calvados.«
»Gut, mein Herr.«
Es war die Einladung Vebers. Diese Spur von Mitleid
darin. Jemand einmal einen Abend in der Familie möglich machen. Franzosen luden
Freunde nur selten in ihre Häuser ein; sie erledigten das lieber in Restaurants.
Er war noch nie bei Veber gewesen. Es war gut gemeint, aber man vertrug das
schlecht. Gegen Beleidigungen konnte man sich wehren; gegen Mitleid nicht.
Er nahm einen Schluck
von dem Apfelschnaps. Wozu hatte er Veber erklärt, warum er im International wohnte?
Es war nicht nötig gewesen. Veber wußte, was er wissen mußte. Er wußte, daß
Ravic nicht operieren durfte, das war genug. Daß er trotzdem mit ihm arbeitete,
war seine Sache. Er verdiente dabei und konnte Operationen annehmen, die er
sich nicht allein zu machen getraute. Niemand wußte davon – nur er und die
Operationsschwester –; und die hielt dicht. Mit Durant war es dasselbe. Nur
zeremonieller. Wenn der eine Operation hatte, blieb er bei dem Patienten, bis
er narkotisiert war. Erst dann kam Ravic und machte die Operation, zu der
Durant zu alt und zu unfähig war. Wenn der Patient dann später erwachte,
erschien Durant wieder an seinem Bett als stolzer Operateur. Ravic sah den
Patienten nur zugedeckt; er kannte von ihm nur die schmale, jodbraune Stelle Körper,
die offen war für die Operation. Er wußte oft nicht einmal, wen er operierte.
Durant gab ihm die Diagnose, und er begann zu schneiden. Er zahlte Ravic
weniger als ein Zehntel dessen, was er selbst für die Operation bekam. Ravic
hatte nichts dagegen. Es war immer noch besser, als nicht zu operieren. Mit
Veber arbeitete er mehr kameradschaftlich. Veber zahlte ihm ein Viertel. Das
war fair.
Ravic blickte durch
das Fenster. Und sonst? Es war nicht viel, was übriggeblieben war. Er lebte,
das war genug. Es lag ihm nichts daran in einer Zeit, wo alles schwankte, etwas
aufzubauen, das in kurzer Zeit wieder zusammenstürzen mußte. Es war besser, zu
treiben, als Kraft zu verschwenden, sie war das einzige, was unersetzbar war.
Überstehen war alles, bis irgendwo wieder ein Ziel sichtbar wurde. Je weniger
Kraft man dazu anwandte, um so besser; man hatte sie dann nachher. Ameisenhaft
immer wieder in einem zusammenbrechenden Jahrhundert eine bürgerliche Existenz
aufbauen zu wollen – das war das, woran er viele hatte scheitern sehen. Es war
rührend, heroisch und lächerlich in einem – und nutzlos. Es machte mürbe. Eine
Lawine war nicht aufzuhalten, wenn sie im Rollen war – wer es versuchte, kam
darunter. Besser abzuwarten und später die Verschütteten auszugraben. Wenn viel
marschiert wurde, mußte man leichtes Gepäck haben. Auf der Flucht auch
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