E.M. Remarque
Sachen aussuchen und
alles abschicken lassen, bevor wir reisen. Ich ziehe heute abend ins Hotel
Belfort. Gut, billig, sauber.«
»Wohnt er auch da?«
»Natürlich nicht«, sagt Rolande überrascht. »Wir sind
doch noch nicht verheiratet.«
»Richtig.«
Ravic wußte, daß das alles keine Pose war. Rolande war
eine Bürgerin, die einen Beruf gehabt hatte. Ob es ein Mädchenpensionat war
oder ein Bordell, war dasselbe. Sie hatte ihren Beruf ausgefüllt, und jetzt war
es vorbei, und sie kehrte zu ihrer bürgerlichen Welt zurück, ohne einen
Schatten von der andern mitzunehmen. Es war ebenso bei vielen der Huren. Manche
von ihnen wurden ausgezeichnete Ehefrauen. Hure zu sein war ein seriöser Beruf;
kein Laster. Das sicherte vor Degradation.
Rolande nahm die Flasche Armagnac und goß Ravic ein neues
Glas ein. Dann holte sie einen Zettel aus der Handtasche. »Wenn du einmal von
Paris weg willst – hier ist die Adresse unseres Hauses. Du kannst immer
kommen.«
Ravic blickte auf die Adresse. »Es sind zwei Namen«,
sagte sie. »Einer für die ersten zwei Wochen. Er ist meiner. Danach ist es der
meines Bräutigams.«
Ravic steckte den Zettel ein. »Danke, Rolande. Vorläufig
bleibe ich in Paris. Außerdem würde dein Bräutigam sicher überrascht sein, wenn
ich plötzlich hereingeschneit käme.«
»Du meinst, weil ich möchte, daß du nicht zur Bahn
kommst? Das ist etwas anderes. Dieses hier gebe ich dir für jeden Fall, daß du
einmal von Paris weg mußt. Rasch. Dafür.«
»Er sah auf. »Warum?«
»Ravic«, sagte sie. »Du bist ein Refugié. Und Refugiés
haben manchmal Schwierigkeiten. Da ist es gut, zu wissen, wo man wohnen kann,
ohne daß die Polizei sich kümmert.«
»Woher weißt du, daß ich ein Réfugié bin?«
»Ich weiß es. Ich habe es niemand gesagt. Es geht keinen
hier etwas an. Bewahre die Adresse auf. Und wenn du sie einmal brauchst, komm.
Bei uns fragt niemand.«
»Gut. Danke, Rolande.«
»Vor zwei Tagen war jemand von der Polizei hier. Er
fragte nach einem Deutschen. Wollte wissen, ob er hier gewesen sei.«
»So?« sagte Ravic aufmerksam.
»Ja. Das letztemal, als du hereinkamst, war er hier. Du
erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr. Ein dicker Kahlkopf. Er saß drüben
mit Yvonne und Claire. Die Polizei fragte, ob er hier war und wer sonst noch
hier gewesen sei.«
»Keine Ahnung«, sagte Ravic.
»Du hast ihn sicher nicht beobachtet. Ich habe natürlich
nicht gesagt, daß du an dem Abend für einen Augenblick hier warst.«
Ravic nickte.
»Besser so«, erklärte Rolande. »Man gibt den Flics so
keine Gelegenheit, unschuldige Leute nach Pässen zu fragen.«
»Natürlich. Sagte er, was er wollte?«
Rolande zuckte die Schultern. »Nein. Und uns geht das ja
auch nichts an. Ich habe ihm gesagt, niemand wäre hier gewesen. Das ist eine
alte Regel bei uns. Wir wissen nie etwas. Besser. Er war auch nicht sehr
interessiert.«
»Nein?«
Rolande lächelte. »Ravic, es gibt viele Franzosen, die
sich nichts daraus machen, was aus einem deutschen Touristen wird. Wir haben
genug mit uns selbst zu tun.«
Sie stand auf. »Ich muß fort. Adieu, Ravic.«
»Adieu, Rolande. Es wird nicht mehr dasselbe sein hier,
ohne dich.«
Sie lächelte. »Nicht gleich, vielleicht. Aber bald.«
Sie ging, um sich von den Mädchen zu verabschieden. Auf
dem Wege betrachtete sie noch einmal die Registrierkasse, die Sessel und die Tische.
Es waren praktische Geschenke. Sie sah sie bereits in ihrem Café. Besonders die
Registrierkasse. Sie war Einkommen, Sicherheit, Heim und Wohlstand. Rolande
zögerte einen Augenblick; dann konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie nahm ein
paar Geldstücke aus ihrer Handtasche, legte sie neben den glitzernden Apparat
und begann zu tippen. Der Apparat schnurrte, zeigte zwei Frank fünfzig an,
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