E.M. Remarque
Er zog seine
Kappe tiefer in die Stirn. »Dann will ich jetzt gehen. Mutter wartet bestimmt
schon. Ich bin schon lange von zu Hause fort. Muß auch noch jemand sprechen,
wegen eines neuen Roquefort. Adieu, Doktor. Hoffentlich schmeckt es.«
»Adieu, Jeannot. Danke. Und viel Glück.«
»Glück werden wir schon haben!«
Die kleine Gestalt winkte und hinkte selbstbewußt hinaus.
Ravic packte in seinem Zimmer die Sachen aus. Er
suchte und fand einen alten Spirituskocher, den er seit Jahren nicht mehr
gebraucht hatte. Irgendwo fand er auch ein Paket Hartspiritus und eine kleine
Pfanne. Er nahm zwei Vierecke des Heizstoffs, legte sie auf den Kocher und
zündete sie an. Die schmale, blaue Flamme flackerte. Er warf ein Stück Butter
in die Pfanne, brach zwei Eier und mischte sie hinein. Dann schnitt er das
frische, knusprige, weiße Brot, stellte die Pfanne mit ein paar Zeitungen als
Unterlage auf den Tisch, öffnete den Brie, holte eine Flasche Vouvray und
begann zu essen. Er hatte das lange nicht mehr getan. Er beschloß, morgen eine
größere Anzahl Pakete mit Hartspiritus zu kaufen. Den Kocher konnte er leicht
mitnehmen in ein Lager. Er war zusammenklappbar.
Ravic aß langsam. Er versuchte auch noch den Pont
l’Evêque. Jeannot hatte recht – es war ein gutes Abendessen.
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32 »Der
Auszug aus Ägypten«, sagte der Doktor der Philologie und Philosophie
Seidenbaum zu Ravic und Morosow, »ohne Moses.«
Er stand dünn und gelb neben der Tür des »International«.
Draußen verluden die Familien Stern, Wagner und der Junggeselle Stolz ihre
Sachen. Sie hatten zusammen einen Möbelwagen gemietet.
Unter dem hellen Augustnachmittag stand eine Anzahl Möbel
auf der Straße. Ein vergoldetes Sofa mit Aubussonüberzug, ein paar vergoldete
Sessel dazu und ein neuer Aubussonteppich. Sie waren das Eigentum der Familie
Stern. Ein mächtiger Mahagonitisch wurde gestellt. Selma Stern, eine Frau mit
verwelktem Gesicht und Sammetaugen, behütete ihn wie eine Glucke ihre Küken.
»Achtung! Die Platte! Machen Sie keinen Kratzer! Die
Platte! Vorsicht! Vorsicht!«
Die Platte war poliert und gewachst. Sie war eines der
Heiligtümer, für die Hausfrauen ihr Leben riskieren. Selma Stern umflatterte
den Tisch und die beiden Packer, die ihn völlig unbeteiligt aus dem Hotel
trugen und ihn draußen niedersetzten.
Die Sonne schien auf die Platte. Selma bückte sich mit
einem Wischtuch darüber. Sie polierte nervös die Ecken. Die Platte reflektierte
wie ein dunkler Spiegel ihr bleiches Gesicht, als sähe eine tausendjährige
Vorfahrin sie fragend aus dem Spiegel der Zeit an.
Die Packer erschienen mit einem Mahagonibüfett. Es war
ebenso gewachst und poliert. Einer der Männer drehte sich zu früh herum, und
eine Ecke des Büfetts schrammte den Türeingang des Hotels »International«.
Selma Stern schrie nicht. Sie stand wie versteinert da,
eine Hand mit dem Wischtuch erhoben, den Mund halb offen, als sei sie
versteinert, während sie gerade das Wischtuch in den Mund stopfen wollte.
Josef Stern, ihr Mann, klein, mit einer Brille und
hängender Unterlippe, näherte sich ihr. »Nu, Selmachen ...«
Sie sah ihn nicht. Sie starrte ins Leere. »Das Büfett ...«
»Nu, Seimachen. Wir haben die Visa ...«
»Das Büfett von meiner Mutter. Von meinen Eltern ...«
»Nu, Selmachen. Ein Kratzer. Schon so ein Kratzerchen.
Hauptsache, wir haben die Visa ...«
»Das bleibt. Das kann man nie mehr wegkriegen.«
»Madame«, sagte der Möbelpacker, der nichts verstand,
aber genau wußte, worum es ging. »Packen Sie doch Ihren Kram selbst. Ich habe
die Tür nicht zu schmal gemacht.«
»Sales boches«, sagte der andere.
Josef Stern wurde lebendig. »Wir sind keine boches«,
sagte er. »Wir sind
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