E.M. Remarque
Emigranten.«
»Sales Refugiés«, sagte der Mann.
»Siehste, Selmachen, da stehen wir nu«, sagte Stern. »Was
mache wer nu? Was ham wer schon für Geseires gehabt mit deine Mahagoni. Aus
Koblenz sind wir vier Monate später ’raus, weil du dich nicht trennen konntest.
Achtzehntausend Mark Reichsfluchtsteuer mehr hat uns das gekostet. Und nu stehn
wir hier auf der Straße, und das Schiff wartet nicht.«
Er legte den Kopf zur Seite und sah bekümmert auf
Morosow. »Was soll man machen?« sagte er. »Sales boches! Sales refugiés! Sag’
ich ihm jetzt, wir sind Juden, wird er sagen: Sales juifs, und dann ist es ganz
aus.«
»Geben Sie ihm Geld«, sagte Morosow.
»Geld? Er wird es mir ins Gesicht schmeißen.«
»Ausgeschlossen«, erwiderte Ravic. »Wer so schimpft, ist
immer bestechlich.«
»Es ist gegen meinen Charakter. Beleidigt werden und noch
dafür bezahlen.«
»Wirkliche Beleidigungen fangen erst an, wenn sie
persönlich werden«, erklärte Morosow. »Dies war eine allgemeine Beleidigung.
Beleidigen Sie den Mann zurück, indem Sie ihm ein Trinkgeld geben.«
In Sterns Augen funkelte ein Lächeln. »Gut«, sagte er zu
Morosow. »Gut.«
Er nahm ein paar Scheine heraus und gab sie den Packern.
Beide nahmen sie verachtungsvoll. Stern steckte verachtungsvoll seine
Brieftasche wieder ein. Die Packer sahen sich um. Dann begannen sie, die
Aubussonstühle einzuladen. Das Büfett nahmen sie aus Prinzip zuletzt. Als sie
es einluden, gaben sie ihm eine Drehung, und die rechte Seite schrammte den
Möbelwagen. Selma Stern zuckte, sagte aber nichts. Stern sah es gar nicht. Er
überzählte seine Visa und seine Papiere.
»Nichts sieht so jammervoll aus, wie Möbel auf der
Straße«, sagte Morosow.
Die Sachen der Familie Wagner standen jetzt da. Ein paar
Stühle, ein Bett, das schamlos und traurig wirkte, so mitten auf der Straße.
Zwei Koffer – Viareggio, das Grand Hotel Gardone, das Adlon, Berlin. Ein
drehbarer Spiegel in einem Goldrahmen, in dem die Straße sich spiegelte.
Küchengeräte – man verstand nicht, wozu das nach Amerika mitgenommen werden
sollte.
»Verwandte«, sagte Leonie Wagner. »Verwandte in Chikago
haben das alles für uns gemacht. Sie haben uns das Geld geschickt und das Visum
besorgt. Nur ein Visitor-Visum. Man muß dann nach Mexiko gehen. Verwandte.
Verwandte von uns.«
Sie war beschämt. Sie fühlte sich wie ein Deserteur,
solange sie die Augen der Zurückbleibenden auf sich fühlte. Sie wollte deshalb
rasch weg. Sie half selbst mit, die Sachen in den Möbelwagen zu schieben. Sie
würde aufatmen, wenn sie nur um die nächste Ecke war. Und die neue Angst würde
beginnen. Ob das Schiff auch ginge. Ob man sie an Land ließe. Ob man sie nicht
zurückschickte. Es war immer eine Angst nach der anderen. Seit Jahren.
Der Junggeselle Stolz hatte fast nichts als Bücher. Einen
Koffer mit Kleidern und seine Bibliothek. Erstdrucke, alte Ausgaben, neue
Bücher. Er war verwachsen, rothaarig und schweigsam.
Eine Anzahl der Zurückbleibenden sammelte sich langsam in
der Tür vor dem Hotel. Die meisten sagten nichts. Sie sahen nur die Sachen und
den Möbelwagen an.
»Auf Wiedersehen dann«, sagte Leonie Wagner nervös. Es
war alles eingeladen. »Oder good bye.« Sie lachte irritiert. »Oder adieu. Man
weiß ja heute nicht mehr.«
Sie begann ein paar Hände zu schütteln. »Verwandte
drüben«, sagte sie. »Verwandte. Wir selber hätten natürlich nie ...«
Sie hörte bald auf. Der Doktor Ernst Seidenbaum klopfte
ihr auf die Schulter. »Macht nichts. Manche haben Glück, manche nicht.«
»Die meisten nicht«, sagte der Emigrant Wiesenhoff.
»Macht nichts. Gute Reise.«
Josef Stern verabschiedete sich von Ravic und Morosow und
einigen anderen. Er lächelte wie jemand,
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