E.M. Remarque
der einen Bankbetrug begangen hatte.
»Wer weiß, wie es noch wird. Vielleicht sehnen wir uns noch nach dem
international zurück.«
Selma Stern saß bereits im Wagen. Der Junggeselle Stolz
verabschiedete sich nicht. Er fuhr nicht nach Amerika. Er hatte nur Papiere bis
Portugal. Er hielt das für zu unbedeutend für eine Abschiedsszene. Er winkte
nur kurz, als der Wagen losratterte.
Die Zurückbleibenden standen wie eine Schar verregneter
Hühner herum. »Komm«, sagte Morosow zu Ravic. »Auf, in die Katakomben! Dies
schreit nach Calvados!«
Sie saßen kaum, als die anderen hereinkamen. Sie trieben
herein wie losgerissene Blätter vor einem Wind. Zwei Rabbis, bleich, mit
schütteren Bärten, Wiesenhoff, Ruth Goldberg, der Schachautomat Finkenstein,
der Fatalist Seidenbaum, eine Anzahl Ehepaare, ein halbes Dutzend Kinder,
Rosenfeld, der Besitzer der Impressionisten, der doch nicht weggekommen war,
ein paar Halbwüchsige und einige sehr alte Leute.
Es war noch zu früh für das Abendessen; aber es schien,
daß keiner von allen in die Einsamkeit des Zimmers hinauf wollte. Sie hockten
zusammen. Sie waren leise, fast ergeben. Sie hatten so viel Unglück gehabt; es
kam schon fast nicht mehr darauf an.
»Die Aristokratie ist abgereist«, sagte Seidenbaum. »Hier
tagt jetzt die Versammlung der lebenslänglich oder zum Tode Verurteilten. Das
auserwählte Volk! Jehovas Lieblinge! Speziell für Pogrome. Es lebe das Leben.«
»Da ist immer noch Spanien«, sagte Finkenstein. Er hatte
das Schachbrett vor sich und die Schachaufgabe des »Matin«.
»Spanien. Die Faschisten küssen die Juden, wenn sie
herüberkommen.«
Die dicke, elastische Kellnerin brachte den Calvados.
Seidenbaum setzte sein Pincenez auf. »Nicht einmal das können die meisten von
uns«, erklärte er, »sich gründlich betrinken. Eine Nacht des Elends los sein.
Nicht einmal das. Die Nachkommen Ahasvers. Selbst er, der alte Wanderer, würde
verzweifeln; heute, ohne Papiere, käme er nicht weit.«
»Trinken Sie einen mit«, sagte Morosow. »Der Calvados ist
gut. Die Wirtin weiß es noch nicht, gottlob. Sonst würde sie den Preis
erhöhen.«
Seidenbaum schüttelte den Kopf. »Ich trinke nicht.«
Ravic sah auf einen Mann, der ziemlich unrasiert war und
alle Augenblicke einen Spiegel hervorholte, sich darin betrachtete und nach
einer Weile von neuem damit begann. »Wer ist das?« fragte er Seidenbaum. »Den
habe ich noch nie hier gesehen.«
Seidenbaum verzog die Lippen. »Das ist der neue Aaron
Goldberg.«
»Wieso? Hat die Frau so rasch wieder geheiratet?«
»Nein. Sie hat ihm den Paß des toten Goldberg verkauft.
Zweitausend Frank. Der alte Goldberg hatte einen grauen Bart; deshalb läßt sich
der neue drüben auch einen wachsen. Wegen der Paßfotografie. Sehen Sie nur, wie
er zupft und zupft. Er traut sich nicht, den Paß zu benutzen, bevor er einen
ähnlichen Bart hat. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.«
Ravic betrachtete den Mann, der nervös an seinen Stoppeln
zerrte und sie mit dem Paß verglich. »Er kann immer noch sagen, der Bart wäre
ihm abgebrannt.«
»Gute Idee. Ich werde ihm das erklären.« Seidenbaum nahm
sein Pincenez ab und schaukelte es hin und her. »Makabre Sache«, lächelte er.
»Es war ein reines Geschäft vor zwei Wochen. Jetzt ist Wiesenhoff bereits
eifersüchtig, und Ruth Goldberg ist konfus. Dämonie des Papiers. Auf dem Papier
ist er ihr Mann.«
Er stand auf und ging zu dem neuen Aaron Goldberg
hinüber.
»Dämonie des Papiers gefällt mir.« Morosow wandte sich an
Ravic. »Was machst du heute?«
»Kate Hegström fährt abends mit der ›Normandie‹. Ich
werde sie nach Cherbourg bringen. Sie hat ihren Wagen. Ich nehme ihn zurück und
bringe ihn zur Garage. Sie hat ihn dem
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