E.M. Remarque
»Vielleicht. Wir müssen sie hoch
anheben. Besser, wir schnallen sie fest.«
Sie schnallten sie fest. Joan schlief halb. Manchmal
stöhnte sie. Die Träger verließen die Wohnung.
»Haben Sie einen Schlüssel?« fragte Ravic den
Schauspieler.
»Ich … nein … warum?«
»Um die Wohnung abzuschließen.«
»Nein. Aber da ist ein Schlüssel irgendwo.«
»Suchen Sie ihn und schließen Sie ab.« Die Träger
arbeiteten am ersten Treppenaufsatz. »Nehmen Sie den Revolver mit heraus. Sie
können ihn draußen wegwerfen.«
»Ich … ich werde … mich der Polizei stellen. Ist sie
gefährlich verletzt?«
»Ja.«
Der Mann begann zu schwitzen. Das Wasser drang so
plötzlich durch seine Poren, als wäre unter seiner Haut nichts anderes.
Er ging in die Wohnung zurück.
Ravic folgte den Trägern mit der Bahre. Das Haus hatte
eine elektrische Beleuchtung, die nur drei Minuten anhielt und dann erlosch.
Auf jeder Etage befand sich ein Knopf, um sie wieder in Betrieb zu setzen. Die
Träger kamen die halben Treppen ziemlich gut hinunter. Die Drehungen waren
schwierig. Sie mußten die Bahre hoch über die Köpfe und über das Geländer
heben, um herumzukommen. Die Schatten schwankten riesig an den Wänden. Wann war
das nur so gewesen? Irgendwo war das schon einmal so gewesen – dachte Ravic
verstört. Dann fiel es ihm ein. Mit Raczinsky, damals im Anfang.
Türen öffneten sich, während die Träger sich zuriefen und
die Bahre Stücke Mörtel aus den Wänden riß. Neugierige Gesichter erschienen in
den Spalten, Pyjamas, zerzauste Haare, aufgequollene Schlafgesichter,
Schlafröcke, purpurn, giftgrün, mit tropisehen Blumen …
Das Licht erlosch wieder. Die Träger knurrten in der
Dunkelheit und hielten inne. »Licht!«
Ravic suchte nach dem Knopf. Er faßte in eine Brust, roch
einen faulen Atem, etwas strich um seine Beine. Das Licht flammte wieder auf.
Eine Frau mit gelben Haaren starrte ihn an. Ihr Gesicht hing in fettigen
Falten, Coldcream glänzte, und mit der Hand hielt sie einen
Crêpe-de-Chine-Morgenrock mit tausend koketten Rüschen zusammen. Sie sah aus
wie eine fettige Bulldogge in einem Spitzenbett. »Tot?« fragte sie mit
glitzernden Augen.
»Nein.« Ravic ging weiter. Etwas quietschte, fauchte.
Eine Katze sprang zurück. »Fifi!« Die Frau bückte sich, die schweren Knie weit
gespreizt. »Mein Gott, Fifi, hat man dich getreten?«
Ravic ging die Treppen hinunter. Unter ihm schwankte die
Bahre. Er sah Joans Kopf, der sich mit den Bewegungen der Träger bewegte. Er
konnte ihre Augen nicht sehen.
Der letzte Absatz. Das Licht erlosch wieder. Ravic lief
die letzte Treppe wieder hinauf, den Knopf zu finden. In diesem Augenblick
surrte der Aufzug, und hell erleuchtet in der Dunkelheit, als käme er vom
Himmel, surrte der Fahrstuhl hernieder. In dem offenen, vergoldeten Drahtkorb
stand der Schauspieler. Er glitt lautlos, unaufhaltsam hernieder, vorbei an
Ravic, vorbei an der Bahre, wie eine Erscheinung. Er hatte den Fahrstuhl oben
gefunden und ihn benutzt, um schneller nachzukommen. Es war vernünftig, aber es
wirkte geisterhaft und entsetzlich lächerlich.
Ravic blickte auf. Das Zittern war vorbei. Die Hände
fühlten sich nicht mehr schweißig unter den Gummihandschuhen an. Er hatte sie
zweimal gewechselt.
Veber stand ihm gegenüber. »Wenn Sie wollen, Ravic, rufen
Sie Marteau herüber. Er kann in fünfzehn Minuten hier sein. Sie können
assistieren, und er kann es machen.«
»Nein. Zu spät. Ich könnte es auch nicht. Zusehen noch
weniger als dieses.«
Ravic holte Atem. Er war jetzt ruhig. Er begann zu
arbeiten. Die Haut. Weiß. Haut wie jede, sagte er sich. Joans Haut. Haut wie
jede.
Blut. Joans Blut. Blut wie jedes. Tupfer. Der gerissene
Muskel. Tupfer. Vorsicht. Weiter. Ein Fetzen
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