E.M. Remarque
Silberbrokat. Fäden. Weiter. Der
Wundkanal. Splitter. Weiter. Der Kanal, führend, führend …
Ravic fühlte seine Stirn leer werden. Er richtete sich
langsam auf. »Da, sehen Sie – der siebente Wirbel ...«
Veber beugte sich über die Wunde. »Das sieht schlecht
aus.«
»Nicht schlecht. Hoffnungslos. Da ist nichts zu tun.«
Ravic sah auf seine Hände. Sie bewegten sich unter den
Gummihandschuhen. Es waren starke Hände, gute Hände, sie hatten Tausende Male
geschnitten und zerrissene Körper wieder zusammengenäht; oft war es geglückt
und manchmal nicht, und einige Male hatten sie fast Unmögliches möglich
gemacht, die eine Chance unter hundert – aber jetzt, jetzt, wo alles daran lag,
waren sie hilflos.
Er konnte nichts tun. Niemand konnte etwas tun. Hier war
nichts zu operieren. Er stand da und starrte auf die rote Öffnung. Er konnte
Marteau anrufen lassen. Marteau würde dasselbe sagen.
»Ist nichts zu tun?« fragte Veber.
»Nichts. Ich würde es nur verkürzen. Schwächen. Sie
sehen, wo das Geschoß sitzt. Ich kann es nicht einmal entfernen.«
»Puls flattert, steigt – hundertdreißig …«, sagte Eugenie
hinter dem Schirm.
Die Wunde wurde einen Schatten grauer, als wehe ein Hauch
Dunkelheit darüber. Ravic hatte die Koffeinspritze schon in der Hand. »Coramin!
Rasch! Aufhören mit der Narkose!«
Er machte die zweite Spritze. »Wie ist es jetzt?«
»Unverändert.«
Das Blut hatte noch immer den bleiernen Schein. »Halten
Sie eine Adrenalinspritze bereit und den Sauerstoffapparat!«
Das Blut wurde dunkler. Es war, als zögen draußen Wolken
und würfen ihre Schatten vorüber. Als stünde jemand vor den Fenstern und zöge
die Vorhänge zu. »Blut«, sagte Ravic verzweifeit. »Wir brauchen eine
Blutübertragung. Aber ich weiß die Blutgruppe nicht.« Der Apparat begann wieder
zu arbeiten. »Nichts? Was ist es? Nichts?«
»Puls fällt. Hundertzwanzig. Sehr weich.«
Das Leben kam zurück. »Jetzt? Besser?«
»Dasselbe.«
Er wartete. »Jetzt? Besser?«
»Besser. Regelmäßiger.«
Die Schatten wichen. Die Wundränder verloren das Fahle.
Das Blut war wieder Blut. Noch immer Blut. Der Apparat arbeitete.
»Augenlider flattern«, sagte Eugenie.
»Macht nichts. Kann aufwachen.« Ravic machte den Verband.
»Wie ist der Puls?«
»Regelmäßiger.«
»Das war knapp«, sagte Veber.
Ravic fühlte einen Druck auf seinen Augenlidern. Es war
Schweiß. Dicke Tropfen. Er richtete sich auf. Der Apparat surrte. »Lassen wir
ihn noch.«
Er ging um den Tisch herum und stand dort eine Weile. Er
dachte nicht. Er sah auf die Maschine und das Gesicht Joans. Es zuckte. Es war
noch nicht tot.
»Der Schock«, sagte er zu Veber. »Hier ist eine
Blutprobe. Wir müssen sie wegschicken. Wo können wir Blut bekommen?«
»Im amerikanischen Hospital.«
»Gut. Wir müssen es versuchen. Es wird nichts helfen. Nur
etwas verlängern.« Er beobachtete die Maschine. »Müssen wir die Polizei
benachrichtigen?«
»Ja«, sagte Veber. »Ich müßte. Sie werden dann zwei
Beamte hier haben, die Sie vernehmen wollen. Wollen Sie das?«
»Nein.«
»Gut. Wir können das mittags noch überlegen.«
»Genug, Eugenie«, sagte Ravic.
Die Schläfen hatten wieder etwas Farbe. Das graue Weiß
eine Spur Rosa. Der Puls schlug regelmäßig, schwach und klar. »Wir können sie
zurückbringen. Ich werde noch hierbleiben.«
Sie bewegte sich. Eine Hand bewegte sich. Die rechte
Hand bewegte sich. Die linke bewegte sich nicht.
»Ravic«, sagte Joan.
»Ja ...«
»Hast du mich operiert?«
»Nein, Joan. Es war nicht nötig. Wir haben nur die Wunde
saubergemacht.«
»Bleibst du hier?«
»Ja ...«
Sie schloß die Augen und schlief wieder ein. Ravic ging
zur Tür. »Bringen Sie mir etwas Kaffee«, sagte er zu der
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