E.M. Remarque
Morgenschwester.
»Kaffee und Brötchen?«
»Nein. Nur Kaffee.«
Er ging zurück und
öffnete das Fenster. Der Morgen stand rein und strahlend über den Dächern.
Spatzen schilpten in den Regenrinnen. Ravic setzte sich auf die Fensterbank und
rauchte. Er blies den Rauch aus dem Fenster.
Die Schwester kam mit dem Kaffee. Er stellte ihn neben
sich und trank ihn und rauchte und sah aus dem Fenster. Wenn er aus dem hellen
Morgen zurückblickte, schien das Zimmer dunkel. Er stand auf und schaute nach
Joan. Sie schlief. Ihr Gesicht war abgewaschen und sehr blaß. Die Lippen waren
kaum zu sehen.
Er nahm das Tablett mit der Kanne und der Tasse und trug
es hinaus. Er stellte es auf einen Tisch im Korridor. Es roch draußen nach
Bohnerwachs und Eiter. Die Schwester brachte einen Eimer mit alten Bandagen
vorbei. Irgendwo summte ein Vakuumsauger.
Joan wurde unruhig. Sie würde bald wieder aufwachen.
Aufwachen mit Schmerzen. Die Schmerzen würden sich steigern. Sie konnte noch
ein paar Stunden leben und noch ein paar Tage. Die Schmerzen würden so werden,
daß keine Spritzen mehr viel helfen konnten.
Ravic ging eine Spritze und Ampullen holen. Als er
zurückkam, öffnete Joan die Augen. Er sah sie an.
»Kopfschmerzen«, murmelte sie.
Er wartete. Sie versuchte, den Kopf zu bewegen. Die
Augenlider schienen schwer zu sein. Sie bewegte mühsam die Augenbälle.
»Das ist wie Blei ...«
Sie wurde wacher. »Ich kann das nicht aushalten ...«
Er machte ihr die Spritze. »Es wird gleich besser werden
...«
»Vorhin hat es nicht so weh getan …« Sie bewegte den
Kopf. »Ravic«, flüsterte sie, »ich will nicht leiden. Ich … versprich, daß ich
nicht leiden werde … meine Großmutter … ich habe sie gesehen … ich will das
nicht … und es half ihr nichts … versprich mir ...«
»Ich verspreche es dir, Joan. Du wirst nicht viel
Schmerzen haben. Fast keine ...«
Sie biß die Zähne zusammen. »Hilft es bald?«
»Ja – bald. In einigen Minuten ...«
»Was ist … mit meinem Arm …?«
»Nichts. Du kannst ihn nicht bewegen. Es wird
wiederkommen.«
»Und mein Bein … mein rechtes Bein ...«
Sie versuchte es anzuziehen. Es rührte sich nicht.
»Dasselbe, Joan. Tut nichts. Es kommt zurück.«
Sie bewegte den Kopf.
»Ich wollte gerade anfangen … anders zu leben …«,
flüsterte sie. Ravic erwiderte nichts. Es war nichts darauf zu erwidern.
Vielleicht war es wahr. Wer wollte das nicht immer?
Sie bewegte wieder den Kopf, ruhelos, von einer Seite zur
andern. Die monotone, mühevolle Stimme. »Gut – daß du kamst. Was wäre ohne dich
geworden?«
»Ja ...«
Dasselbe, dachte er hoffnungslos. Dasselbe. Jeder Pfuscher
wäre gut genug dazu gewesen. Jeder Pfuscher. Das einzige Mal, wo ich es
gebraucht hätte, ist alles, was ich weiß und gelernt habe, umsonst. Jeder
Groschendoktor hätte dasselbe tun können. Nichts.
Sie wußte es mittags. Er hatte ihr nichts gesagt, aber
sie wußte es plötzlich. »Ich will kein Krüppel werden, Ravic. – Was ist mit
meinen Beinen? Ich kann beide nicht mehr ...«
»Nichts. Du wirst gehen können wie immer, wenn du wieder
aufstehst.«
»Wenn ich wieder … aufstehe. Warum lügst du? Du brauchst
nicht...«
»Ich lüge nicht, Joan.«
»Doch – du mußt. – Du sollst mich nur nicht liegenlassen
… und ich bin nichts … als Schmerzen. Versprich mir das.«
»Ich verspreche es dir.«
»Wenn es zu stark wird, mußt du mir etwas geben. Meine
Großmutter hat … fünf Tage gelegen … und geschrien. Ich will das nicht, Ravic.«
»Du wirst es nicht. Du wirst wenig Schmerzen haben.«
»Wenn es zu stark wird, mußt du mir genug geben. Genug
für immer. Du mußt es tun – auch wenn ich nicht will oder nichts mehr weiß. –
Was ich jetzt sage, gilt. Nachher … versprich es mir.«
»Ich verspreche es dir. Es wird nicht nötig sein.«
Der ängstliche Ausdruck
Weitere Kostenlose Bücher