E.M. Remarque
verschwand. Sie lag auf einmal
friedlich da. »Du kannst es tun, Ravic«, flüsterte sie. »Ohne dich … wäre ich
ja nicht mehr am Leben.«
»Unsinn. Natürlich wärest du ...«
»Nein. Ich wollte damals … als du mich zuerst … ich wußte
nicht mehr, wohin … du hast mir dieses Jahr gegeben. Es war … geschenkte Zeit.«
Sie wendete den Kopf langsam zu ihm. »Warum bin ich nicht bei dir geblieben?«
»Das war meine Schuld, Joan.«
»Nein. Es war … ich weiß es nicht...«
Der Mittag stand golden vor dem Fenster. Die Vorhänge
waren zugezogen, aber das Licht drang an den Seiten durch. Joan lag im
Halbschlaf der Drogen. Es war noch wenig von ihr da. Die paar Stunden hatten
wie Wölfe an ihr gefressen. Der Körper schien flacher unter der Decke zu
werden. Sein Widerstand schmolz. Sie trieb zwischen Schlafen und Wachen,
manchmal war sie fast bewußtlos, manchmal ganz klar. Die Schmerzen wurden
stärker. Sie begann zu stöhnen. Ravic gab ihr eine Spritze. »Der Kopf«,
murmelte sie. »Es wird schlimmer.«
Nach einiger Zeit begann sie wieder zu sprechen. »Das
Licht … zu viel Licht … es brennt...«
Ravic ging zum Fenster. Er fand einen Rolladen und ließ
ihn herunter. Darüber zog er die Vorhänge fest. Das Zimmer war jetzt fast
dunkel. Er ging und setzte sich neben das Bett.
Joan bewegte die Lippen. »Es dauert … so lange … es hilft
nicht mehr, Ravic ...«
»In ein paar Minuten.«
Sie lag still. Die Hände lagen tot auf der Decke. »Ich
muß dir … vieles … sagen ...«
»Später, Joan ...«
»Nein. Jetzt … ist keine Zeit mehr. Vieles … erklären ...«
»Ich glaube, ich weiß das meiste, Joan ...«
»Du weißt es?«
»Ich glaube.«
Die Wellen. Ravic konnte sehen, wie die Wellen der
Krämpfe durch sie gingen. Beide Beine waren jetzt paralysiert. Die Arme auch
schon. Die Brust hob sich noch.
»Du weißt … daß ich immer nur mit dir ...«
»Ja, Joan ...«
»Das andere war nur … Unruhe ...«
»Ja, ich weiß es ...«
Sie lag eine Weile. Sie atmete mühsam. »Sonderbar …«,
sagte sie dann sehr leise. »Sonderbar …, daß man sterben kann … wenn man liebt
...«
Ravic beugte sich über sie. Da war nur noch Dunkelheit
und das Gesicht. »Ich war nicht gut … für dich«, flüsterte sie.
»Du warst mein Leben ...«
»Ich kann … ich will … meine Hände … kann nie mehr … dich
umarmen ...«
Er sah, wie sie sich anstrengte, ihre Arme zu heben. »Du
bist in meinen Armen«, sagte er. »Und ich in deinen.«
Sie hörte einen Augenblick auf zu atmen. Ihre Augen waren
ganz im Schatten. Sie öffnete sie. Die Pupillen waren sehr groß. Ravic wußte
nicht, ob sie ihn sah. »Ti amo«, sagte sie.
Sie sprach die Sprache ihrer Kindheit. Sie war zu müde
für das andere. Ravic nahm ihre leblosen Hände. Etwas zerriß in ihm. »Du hast
mich leben gemacht, Joan«, sagte er in das Gesicht mit den starren Augen
hinein. »Du hast mich leben gemacht. Ich war nichts als ein Stein. Du hast
gemacht, daß ich lebe...«
»Mi ami?«
Es war die Frage eines Kindes, das sich schlafen legen
will. Es war die letzte Müdigkeit hinter allen andern.
»Joan«, sagte Ravic. »Liebe ist kein Wort dafür. Es ist
nicht genug. Es ist nur ein geringer Teil, es ist nur ein Tropfen in einem
Fluß, ein Blatt an einem Baum. Es ist so viel mehr ...«
»Sono stata … sempre con te ...«
Ravic hielt ihre Hände, die seine Hände nicht mehr
fühlten. »Du warst immer mit mir«, sagte er und merkte nicht, daß er plötzlich
deutsch sprach. »Du warst immer mit mir, ob ich dich liebte, ob ich dich haßte
oder gleichgültig schien – es änderte nie etwas, du warst immer mit mir und
immer in mir ...«
Sie hatten immer nur in einer geborgten Sprache
miteinander gesprochen. Jetzt, zum erstenmal, sprach jeder, ohne es zu wissen,
in seiner. Die Barrieren der Worte fielen, und sie verstanden sich mehr als je.
»Baciami ...«
Er küßte die heißen,
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