E.M. Remarque
Joan.
»Natürlich.«
»Ich will keine Schmerzen haben.«
»Du wirst keine haben.«
»Ich kann es nicht … ich kann keine Schmerzen …«, sie
wurde schläfrig. Ihre Stimme rutschte ab. »Ich kann es einfach nicht...«
Ravic sah die Einschußstelle. Es waren keine großen
Gefäße verletzt. Er sah keine Ausschußstelle. Er sagte nichts. Er legte einen
Kompressionsverband an. Er sagte nicht, was er fürchtete. »Wer hat dich aufs
Bett gelegt?« fragte er. »Bist du selbst ...«
»Er ...«
»Hast du … konntest du gehen?«
Die Augen kamen erschrocken zurück aus schlierigen Seen.
»Was … ist es … Ich … nein; ich konnte meinen Fuß nicht bewegen. Mein Bein …
was ist es, Ravic?«
»Nichts. Ich dachte es mir. Es wird wieder in Ordnung
kommen.«
Der Mann erschien. »Die Klinik ...«
Ravic ging rasch zum Telefon. »Wer ist da? Eugenie? Ein
Zimmer – ja – und rufen Sie Veber an.« Er sah nach dem Schlafzimmer hinüber.
Leise: »Machen Sie alles fertig. Wir müssen sofort arbeiten. Ich habe eine Ambulanz
bestellt. Ein Unfall – ja – ja – richtig – ja – in zehn Minuten ...«
Er legte den Hörer auf. Er blieb eine Weile stehen. Der
Tisch. Eine Flasche Crème de Menthe, ekelhaftes Zeug, Gläser,
Rosenblattzigaretten, scheußlich, ein schlechter Film, ein Revolver auf dem
Teppich, Blut auch hier, alles nicht wahr, warum denke ich das bloß, es ist
wahr – und jetzt wußte er auch, wer der Mann war, der ihn geholt hatte. Der
Anzug mit den zu geraden Schultern, das glattgebürstete, pomadisierte Haar,
dieser leichte Geruch nach Chevalier d’Orsay, der ihn unterwegs irritiert
hatte, die Ringe an den Händen – es war der Schauspieler, über dessen Drohungen
er so gelacht hatte. Gut gezielt, dachte er. Überhaupt nicht gezielt, dachte
er. Solche Schüsse konnte man nicht zielen. So präzise konnte man nur treffen,
wenn man keine Ahnung hatte und nicht treffen wollte.
Er ging zurück. Der Mann kniete neben dem Bett. Kniete,
natürlich. Anders ging es ja nicht; redete, klagte, redete, die Silben rollten
… »Stehen Sie auf«, sagte Ravic.
Der Mann erhob sich gehorsam. Abwesend bürstete er die
Knie seiner Hose vom Staub ab. Ravic sah sein Gesicht. Tränen! Auch das noch!
»Ich wollte es nicht, mein Herr! Ich schwöre es Ihnen, ich wollte sie nicht
treffen; ich wollte es nicht, ein Zufall, ein blinder, unglücklicher Zufall!«
Ravic würgte der Magen. Blinder Zufall! Gleich würde er
in Jamben reden. »Das weiß ich. Gehen Sie jetzt hinunter, und warten Sie auf
die Ambulanz.«
Der Mann wollte etwas sagen. »Gehen Sie!« sagte Ravic.
»Halten Sie den verdammten Fahrstuhl bereit. Gott weiß, wie wir die Bahre
hinunterbringen werden.«
»Du wirst mir helfen, Ravic«, sagte Joan schläfrig.
»Ja«, sagte er ohne jede Hoffnung.
»Du bist da. Ich bin immer ruhig, wenn du da bist.«
Das verschmierte Gesicht lächelte. Der Clown grinste, die
Hure lächelte mühsam.
»Bebée, ich wollte nicht …«, sagte der Mann von der Tür.
»’raus«, sagte Ravic. »Verdammt, so gehen Sie doch!«
Joan lag eine Weile still. Dann öffnete sie die Augen.
»Er ist ein Idiot«, sagte sie überraschend klar. »Natürlich wollte er es nicht
– das arme Lamm –, wollte nur großtun.« Ein sonderbarer, fast verschmitzter
Ausdruck kam in ihre Augen. »Ich habe es auch nie geglaubt – habe ihn …
geärgert damit ...«
»Du mußt nicht sprechen.«
»Geärgert.« Die Augen schlossen sich zu einem Spalt. »Das
bin ich nun, Ravic … mein Leben … wollte nicht treffen … trifft… und ...«
Die Augen schlossen sich ganz. Das Lächeln erlosch. Ravic
horchte nach der Tür.
»Wir können die Bahre nicht in den Aufzug ’reinbringen.
Er ist zu schmal. Höchstens halb stehend.«
»Können Sie sie um die Treppenaufsätze herumbringen?«
Der Träger ging hinaus.
Weitere Kostenlose Bücher