E.M. Remarque
Calvados.«
»Sie werden mir langsam unheimlich, Mann. Wissen Sie auch
noch, wie wir angezogen waren?«
»Regenmantel. Die Dame trug ein Béret de Basque.«
»Sie sind zu schade hier. Sie gehören in ein Varieté.«
»War ich doch«, erwiderte der Kellner erstaunt. »Zirkus.
Habe ich Ihnen doch erzählt. Haben Sie das denn vergessen?«
»Ja. Zu meiner Schande, ja.«
»Der Herr vergißt leicht«, sagte Joan Madou zu dem
Kellner. »Er ist ein Künstler im Vergessen. So wie Sie ein Künstler im
Nichtvergessen.«
Ravic blickte auf. Sie sah ihn an. Er lächelte.
»Vielleicht doch nicht«, sagte er. »Und jetzt wollen wir den Calvados
versuchen. – Salute!«
»Salute!«
Der Kellner blieb stehen. »Was man vergißt, das fehlt
einem später im Leben, mein Herr«, erklärte er. Das Thema war für ihn noch nicht
erschöpft.
»Richtig. Und was man nicht vergißt, macht es einem zur
Hölle.«
»Mir nicht. Es ist ja vorbei. Wie kann es einem da das
Leben zur Hölle machen?«
Ravic blickte auf. »Gerade deshalb, Bruder. Aber Sie sind
ein glücklicher Mensch, nicht nur ein Künstler. Ist der gleiche Calvados?«
fragte er Joan Madou. – »Er ist besser.«
Er sah sie an. Eine leichte Wärme stieg ihm in die Stirn.
Er wußte, was sie meinte; aber es war entwaffnend, daß sie es sagte. Sie schien
sich nicht darum zu kümmern, wie es wirken konnte. Sie saß in der kahlen
Kneipe, als wäre sie ganz bei sich selbst. Das Licht der ungeschützten
elektrischen Birnen war unbarmherzig. Zwei Huren, die ein paar Tische weiter
saßen, sahen darin aus wie ihre Großmütter. Aber es tat ihr nichts. Was vorher,
im Dämmer des Nachtklubs, dagewesen war, hielt hier stand. Das kühne, helle
Gesicht, das nicht fragte, das nur da war und wartete – es war ein leeres
Gesicht, dachte er; ein Gesicht, das jeder Wind des Ausdrucks ändern konnte.
Man konnte alles hineinträumen. Es war wie ein schönes, leeres Haus, das auf
Teppiche und Bilder wartete. Alle Möglichkeiten waren in ihm – es konnte ein
Palast und eine Hurenbude werden. Es kam auf den an, der es füllte. Wie
begrenzt erschien dagegen alles, was schon vollgestopft war und eine Maske
hatte …
Er sah, daß sie ihr Glas ausgetrunken hatte. »Alle
Achtung«, sagte er. »Das war ein doppelter Calvados. Wollen Sie noch einen?«
»Ja. Wenn Sie Zeit haben.«
Warum sollte ich keine Zeit haben, dachte er. Dann fiel
ihm ein, daß sie ihn das letztemal mit Kate Hegström gesehen hatte. Er blickte
auf.
Ihr Gesicht verriet nichts.
»Ich habe Zeit«, sagte er. »Ich muß morgen um neun
operieren, das ist alles.«
»Können Sie das, wenn Sie so spät aufbleiben?«
»Ja. Das hat nichts damit zu tun. Es ist Gewohnheit. Ich
operiere auch nicht jeden Tag.«
Der Kellner füllte die Gläser nach. Er brachte mit der
Flasche eine Schachtel Zigaretten und legte sie auf den Tisch. Es war ein Paket
Laurens grün. »Die hatten Sie doch damals auch, wie?« fragte er Ravic
triumphierend.
»Keine Ahnung. Sie wissen mehr als ich. Aber ich glaube
Ihnen ohne weiteres.«
»Es stimmt«, sagte Joan Madou.
»Es waren Laurens grün.«
»Sehen Sie! Die Dame hat ein besseres Gedächtnis als Sie,
mein Herr.«
»Das weiß man noch nicht. Auf jeden Fall können wir die
Zigaretten brauchen.«
Ravic öffnete das Paket und hielt es ihr hinüber. »Wohnen
Sie noch in demselben Hotel?« fragte er.
»Ja. Ich habe nur ein größeres Zimmer genommen.«
Eine Gruppe von
Chauffeuren kam herein. Sie setzten sich an den Nebentisch und begannen ein
lautes Gespräch.
»Wollen wir gehen?« fragte Ravic. Sie nickte.
Er winkte dem Kellner und zahlte. »Müssen Sie nicht doch
noch zurück zur Scheherazade?«
»Nein.«
Er nahm ihren Mantel. Sie zog ihn nicht an. Sie hängte
ihn nur über ihre Schultern. Es war ein billiger Nerz und möglicherweise eine
Imitation – aber er sah
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