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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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die To­ten und friß das Le­ben. Die Zeit ist
kurz. Über­ste­hen war al­les. Ir­gend­wann wür­de man ge­braucht wer­den. Man soll­te
sich da­für heil und be­reit hal­ten. Er wink­te dem Kell­ner und zahl­te.
    Die Sche­herazade war dun­kel, als er ein­trat. Die
Zi­geu­ner spiel­ten, und nur das Licht des Schein­wer­fers lag voll auf dem Tisch
ne­ben dem Or­che­s­ter, an dem Jo­an Ma­dou saß.
    Ra­vic blieb am Ein­gang ste­hen. Ei­ner der Kell­ner kam
her­an und rück­te ihm einen Tisch zu­recht. Aber Ra­vic blieb ste­hen und sah zu
Jo­an Ma­dou hin­über.
    »Wod­ka?« frag­te der Kell­ner.
    »Ja. Ei­ne Ka­raf­fe.«
    Ra­vic setz­te sich hin. Er goß sich ein Glas Wod­ka ein und
trank es rasch. Er woll­te los­wer­den, was er drau­ßen ge­dacht hat­te. Die Frat­ze
der Ver­gan­gen­heit und die Frat­ze des To­des – einen von Gra­na­ten zer­ris­se­nen
Bauch und einen von Krebs zer­fres­se­nen. Er sah, daß er an dem­sel­ben Tisch saß,
an dem er vor zwei Ta­gen mit Ka­te Hegström ge­ses­sen hat­te. Ne­ben­an wur­de ein
an­de­rer Tisch frei. Er rück­te nicht hin­über. Es war gleich­gül­tig, ob er an
die­sem Tisch saß oder am nächs­ten – es half Ka­te Hegström nicht. Was hat­te
Ve­ber ein­mal ge­sagt? Wes­halb re­gen Sie sich auf, wenn ei­ne Ope­ra­ti­on
hoff­nungs­los ist? Man tut, was man kann, und geht nach Hau­se. Wo blie­be man sonst?
Ja, wo blie­be man sonst? Er hör­te die Stim­me Jo­an Ma­dous vom Or­che­s­ter her.
Ka­te Hegström hat­te recht ge­habt – es war ei­ne er­re­gen­de Stim­me. Er griff nach
der Ka­raf­fe mit dem kla­ren Schnaps. Ei­ner die­ser Au­gen­bli­cke, wo die Far­ben
zer­fie­len und das Le­ben grau wur­de un­ter macht­lo­sen Hän­den. Die mys­ti­sche Eb­be.
Die ton­lo­se Zä­sur zwi­schen den Atem­zü­gen. Der Biß der Zeit, die lang­sam das
Herz zer­nag­te. San­ta Lu­cia Lun­ta­na, sang die Stim­me ne­ben dem Or­che­s­ter. Es kam
her­über wie ein Meer – von ei­nem ver­ges­se­nen an­de­ren Ufer, an dem et­was blüh­te.
    »Wie ge­fällt sie Ih­nen?«
    »Wer?« Ra­vic stand auf. Der Ma­na­ger stand ne­ben ihm. Er
mach­te ei­ne Be­we­gung zu Jo­an Ma­dou hin­über.
    »Gut. Sehr gut.«
    »Sie ist ge­ra­de kei­ne Sen­sa­ti­on. Aber zu brau­chen,
zwi­schen den an­de­ren Num­mern.«
    Der Ma­na­ger glitt wei­ter. Sein Spitz­bart stand einen
Au­gen­blick schwarz vor dem wei­ßen Licht. Dann ver­schwand er in der Dun­kel­heit.
Ra­vic blick­te ihm nach und griff nach sei­nem Glas.
    Der Schein­wer­fer er­losch. Das Or­che­s­ter be­gann einen
Tan­go zu spie­len. Die er­leuch­te­ten Tisch­flä­chen tauch­ten wie­der auf und über
ih­nen die un­deut­li­chen Ge­sich­ter. Jo­an Ma­dou er­hob sich und ging zwi­schen den
Ti­schen hin­durch. Sie muß­te ei­ni­ge Ma­le war­ten, weil die Paa­re zur Tanz­flä­che
gin­gen. Ra­vic sah sie an, und sie sah ihn an. Ihr Ge­sicht ver­riet kei­ne
Über­ra­schung. Sie ging ge­ra­de auf ihn zu. Er stand auf und schob den Tisch
bei­sei­te. Ein Kell­ner kam, um ihm zu hel­fen. »Dan­ke«, sag­te er, »das ma­che ich schon
al­lein. Wir brau­chen nur noch ein Glas.«
    Er rück­te den Tisch wie­der zu­recht und füll­te das Glas,
das der Kell­ner brach­te. »Das ist Wod­ka hier«, sag­te er. »Ich weiß nicht, ob
Sie das trin­ken.«
    »Ja. Wir ha­ben es schon ein­mal ge­trun­ken. In der Bel­le Au­ro­re.«
    »Rich­tig.«
    Wir wa­ren auch schon ein­mal hier, dach­te Ra­vic. Vor ei­ner
Ewig­keit. Vor drei Wo­chen. Da­mals hast du hier ge­ses­sen, zu­sam­men­ge­kau­ert in
dei­nem Re­gen­man­tel, nichts als ein biß­chen Un­glück und Aus­ge­löscht­sein im
Halb­dun­kel. Jetzt … »Sa­lu­te«, sag­te er.
    Ein Schein flog über ihr Ge­sicht. Sie lach­te nicht; ihr
Ge­sicht wur­de nur hel­ler. »Das ha­be ich lan­ge nicht ge­hört«, sag­te sie.
»Sa­lu­te.«
    Er trank sein Glas aus und sah sie an. Die ho­hen Brau­en,
die weit aus­ein­an­der­ste­hen­den Au­gen, der Mund – al­les, was frü­her ver­wischt und
ein­zeln und oh­ne Zu­sam­men­hang ge­we­sen war, hat­te sich auf ein­mal ver­sam­melt zu
ei­nem hel­len, ge­heim­nis­vol­len Ge­sicht, ei­nem Ge­sicht, des­sen Ge­heim­nis sei­ne
Of­fen­heit war. Es ver­steck­te nichts

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