E.M. Remarque
und gab dadurch nichts preis. Daß ich das
früher nicht gesehen habe, dachte er. Aber vielleicht war es damals nicht da,
vielleicht war es da ganz ausgefüllt von Verwirrung und Angst.
»Haben Sie eine Zigarette?« fragte Joan Madou.
»Nur die algerischen. Die mit dem schweren, schwarzen
Tabak.«
Ravic wollte dem Kellner winken. »Sie sind nicht zu
schwer«, sagte sie. »Sie haben mir schon einmal eine gegeben. Am Pont de
l’Alma.«
»Das ist wahr.«
Es ist wahr, und es ist nicht wahr, dachte er. Damals
warst du ein gehetztes, fahles Wesen, nicht du; da ist noch manches andere
zwischen uns gewesen, und plötzlich ist nichts mehr davon wahr. »Ich war schon
einmal hier«, sagte er.
»Vorgestern.«
»Ich weiß es. Ich habe Sie gesehen.«
Sie fragte nicht nach Kate Hegström. Sie saß ruhig und
entspannt in der Ecke und rauchte, und sie schien ganz hingegeben daran, daß
sie rauchte. Dann trank sie, ruhig und langsam, und schien ganz hingegeben
daran, daß sie trank. Sie schien alles ganz zu tun, was sie gerade tat, auch
wenn es noch so nebensächlich war. Sie war auch ganz verzweifelt damals, dachte
Ravic – und ebenso ist sie es jetzt nicht mehr. Sie hatte plötzlich Wärme und
eine selbstverständliche, sichere Gelassenheit. Er wußte nicht, ob es daher
kam, weil nichts im Augenblick ihr Leben bewegte; er fühlte nur, wie es ihn
anstrahlte.
Die Karaffe Wodka war leer. »Wollen wir das weiter
trinken?« fragte Ravic.
»Was war es, das Sie mir damals zu trinken gegeben
haben?«
»Wann? Hier? Ich glaube, wir haben da eine Menge
durcheinander getrunken.«
»Nein. Nicht hier. Am ersten Abend.«
Ravic dachte nach. »Ich weiß es nicht mehr. – War es
nicht Kognak?«
»Nein. Es sah aus wie Kognak, aber es war etwas anderes.
Ich habe versucht, es zu bekommen, aber ich habe es nicht gefunden.«
»Warum? War es so gut?«
»Nicht deshalb. Es war das Wärmste, was ich je in meinem
Leben getrunken habe.«
»Wo haben wir es getrunken?«
»In einem kleinen Bistro in der Nähe des Arc. Man mußte
ein paar Stufen hinuntergehen. Es waren Chauffeure da und ein paar Mädchen. Der
Kellner hatte eine Frau auf seinem Arm tätowiert.«
»Ah, ich weiß. Es wird Calvados gewesen sein.
Apfelschnaps aus der Normandie. Haben Sie den schon versucht?«
»Ich glaube nicht.«
Ravic winkte dem Kellner. »Haben Sie Calvados?«
»Nein. Leider nicht. Er wird nie verlangt.«
»Zu elegant hier dafür. Es wird also Calvados gewesen
sein. Schade, daß wir es nicht herausfinden können. Am einfachsten wäre, noch
einmal in die Kneipe zu gehen. Aber das können wir ja jetzt nicht.«
»Warum nicht?«
»Müssen Sie nicht hierbleiben?«
»Nein. Ich bin fertig.«
»Gut. Wollen wir gehen?« – »Ja.«
Ravic fand die Kneipe ohne Mühe. Sie war ziemlich leer.
Der Kellner mit der tätowierten Frau auf dem Arm warf beiden einen kurzen Blick
zu; dann schlurfte er hinter der Theke hervor und wischte die Tischplatte ab.
»Ein Fortschritt«, sagte Ravic. »Das hat er damals nicht gemacht.«
»Nicht diesen Tisch«, sagte Joan. »Den dort.«
Ravic lächelte. »Sind Sie abergläubisch?«
»Manchmal.«
Der Kellner stand neben ihnen. »Stimmt«, sagte er und
ließ die Tätowierung springen. »Damals haben Sie auch hier gesessen.«
»Erinnern Sie sich noch daran?«
»Genau.«
»Sie sollten General werden«, sagte Ravic. »Mit so einem
Gedächtnis.«
»Ich vergesse nie etwas.«
»Dann wundert es mich, daß Sie noch leben. Aber wissen
Sie auch noch, was wir damals getrunken haben?«
»Calvados«, sagte der Kellner ohne Zögern.
»Gut. Das wollten wir jetzt wieder trinken.« Ravic wandte
sich an Joan Madou. »Wie einfach sich manchmal Probleme lösen! Jetzt werden wir
sehen, ob er auch noch genauso schmeckt.«
Der Kellner brachte die Gläser. »Doppelte. Sie bestellten
damals doppelte
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