E.M. Remarque
noch eine Weile herum.
Merkwürdig, was ihn da angeflogen war aus dem Nirgendwo. Ein Schatten, ein
Nichts. Vielleicht war es gekommen, weil er bei Kate Hegström gewesen war. Oder
durch das, was Joan vorher im Taxi gesagt hatte. Viel zu schnell und viel zu
leicht. Oder einfach nur, weil jemand wartete – statt daß er wartete. Er verzog
die Lippen und öffnete die Tür.
»Ravic«, sagte Joan aus dem Dunkel. »Der Calvados steht
auf dem Tisch am Fenster.«
Er blieb stehen. Er merkte, daß er in einer Spannung
gewesen war. Er hätte vieles nicht ertragen können, was sie gesagt hätte.
Dieses war richtig. Die Spannung löste sich zu loser, leiser Sicherheit. »Hast
du die Flasche gefunden?« fragte er.
»Das war einfach. Sie stand ja da. Aber ich habe sie
geöffnet. Ich habe einen Korkenzieher entdeckt, irgendwo unter deinen Sachen.
Gib mir noch ein Glas.«
Er schenkte zwei Gläser ein und brachte ihr eines »Hier
…« Es war gut, den klaren Apfelgeist zu spüren. Es war gut, daß Joan das
richtige Wort gefunden hatte.
Sie lehnte den Kopf zurück und trank. Das Haar fiel auf
die Schultern, und sie schien nichts zu sein als Trinken in diesem Augenblick.
Ravic hatte das schon vorher an ihr bemerkt. Sie gab sich ganz hin an das, was
sie gerade tat. Es streifte ihn vage, daß darin nicht nur ein Reiz, sondern
auch eine Gefahr lag. Sie war nichts als Trinken, wenn sie trank; nichts als
Liebe, wenn sie liebte; nichts als Verzweiflung, wenn sie verzweifelte; und
nichts als Vergessen, wenn sie vergaß.
Joan setzte das Glas ab und lachte plötzlich. »Ravic«,
sagte sie. »Ich weiß, was du gedacht hast.«
»Wirklich?«
»Ja. Du fühltest dich schon halb verheiratet vorhin. Ich
mich auch. Vor der Tür verlassen zu werden, ist kein besonderes Erlebnis. Noch
dazu mit Rosen im Arm. Gottlob war der Calvados da. Sei nicht so vorsichtig mit
der Flasche.«
Ravic goß ein. »Du bist eine großartige Person«, sagte
er. »Es ist wahr. Drüben im Badezimmer konnte ich dich nicht besonders
ausstehen. Jetzt finde ich dich wunderbar. Salute!«
»Salute!«
Er trank seinen Calvados aus. »Es ist die zweite Nacht«,
sagte er. »Sie ist gefährlich. Der Reiz des Unbekannten ist vorbei, und der
Reiz des Vertrauens ist noch nicht da. Wir werden sie überstehen.«
Joan setzte ihr Glas nieder. »Du scheinst ja eine ganze
Menge darüber zu wissen.«
»Ich weiß gar nichts. Ich rede nur. Man weiß nie etwas.
Alles ist immer anders. Jetzt auch. Es ist nie die zweite Nacht. Es ist immer
die erste. Die zweite wäre das Ende.«
»Gottlob! Wohin käme man sonst. In irgend etwas wie
Arithmetik. Und nun komm. Ich will noch nicht schlafen. Ich will mit dir
trinken. Die Sterne stehen nackt da oben in der Kälte. Wie leicht man friert,
wenn man allein ist! Auch wenn es heiß ist. Zu zweien nie.«
»Zu zweien kann man sogar erfrieren.«
»Wir nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte Ravic, und sie sah im Dunkeln
den Ausdruck nicht, der über sein Gesicht flog. »Wir nicht.«
10
10 »Was
war los mit mir, Ravic?« fragte Kate Hegström.
Sie lag in ihrem Bett, etwas hochgeschoben, mit zwei
Kissen unter dem Kopf. Das Zimmer roch nach Eau de Sante und Parfüm. Das obere
Fenster war einen Spalt geöffnet. Die klare, etwas frostige Luft von draußen
kam herein und mischte sich mit der Zimmerwärme, als wäre es nicht Januar,
sondern schon April.
»Sie haben Fieber gehabt, Kate. Ein paar Tage. Dann haben
Sie geschlafen. Fast vierundzwanzig Stunden. Jetzt ist das Fieber vorbei, und
alles ist in Ordnung. Wie fühlen Sie sich?«
»Müde. Immer noch. Aber anders als vorher. Nicht so
verkrampft. Ich habe kaum Schmerzen.«
»Sie werden noch welche haben. Nicht sehr viel, und wir
werden schon dafür sorgen, daß Sie es aushalten können. Aber ganz so wie jetzt
wird es nicht bleiben. Das wissen Sie ja selbst ...«
Sie nickte. »Ihr habt mich
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