E.M. Remarque
Mutter muß zur
Polizei gehen. Die Versicherung muß zahlen.« Dicke Schweißperlen standen so
plötzlich auf dem Gesicht, als hätte es darauf geregnet. »Wenn Sie das Bein
abnehmen, zahlt sie mehr … als wenn es … steif bleibt...«
Die Augen versanken in blauschwarzen Ringen, die aus der
Haut hervortraten wie schmutzige Teiche. Der Junge stöhnte und versuchte, rasch
noch etwas zu sagen. »Meine Mutter … versteht nicht … Sie … helfen …« Er konnte
nicht mehr. Er fing an zu brüllen, als hocke in ihm ein gemartertes Tier.
»Was macht die Welt draußen, Ravic?« fragte Kate
Hegström.
»Wozu wollen Sie das wissen, Kate? Denken Sie lieber an
etwas Erfreulicheres.«
»Ich habe das Gefühl, daß ich schon seit Wochen hier bin.
Alles andere ist weit fort, wie versunken.«
»Lassen Sie es ruhig eine Weile versunken bleiben.«
»Nein. Ich fürchte sonst, daß dieses Zimmer die letzte
Arche ist und daß unter dem Fenster schon die Sintflut kommt. Was ist draußen
los, Ravic?«
»Nichts Neues, Kate. Die Welt fährt eifrig fort, ihren
Selbstmord vorzubereiten und sich gleichzeitig darüber hinwegzutäuschen.«
»Gibt es Krieg?«
»Daß es Krieg gibt, weiß jeder. Was man noch nicht weiß,
ist wann. Jeder wartet auf ein Wunder.« Ravic lächelte. »Ich habe noch nie so
viele wundergläubige Staatsmänner gesehen wie augenblicklich in Frankreich und
England. Und noch nie so wenige wie in Deutschland.«
Sie lag eine Zeitlang still. »Daß das möglich ist…«,
sagte sie dann.
»Ja – es scheint so unmöglich, daß es eines Tages
geschehen wird. Eben deshalb, weil man es für unmöglich hielt und sich deshalb
nicht schützte. Haben Sie Schmerzen, Kate?«
»Nicht so viel, daß ich es nicht aushalten kann.« Sie
schob das Kissen unter ihrem Kopf zurecht. »Ich möchte fort von dem allem,
Ravic.«
»Ja …«, erwiderte er ohne Überzeugung. »Wer möchte das
nicht?«
»Wenn ich hier ’rauskomme, will ich nach Italien gehen.
Nach Fiesole. Ich habe da ein stilles, altes Haus mit einem Garten. Da will ich
eine Zeitlang bleiben. Es wird noch kühl sein. Eine blasse, heitere Sonne.
Mittags die ersten Eidechsen auf der Südmauer. Abends die Glocken von Florenz.
Und nachts der Mond und die Sterne hinter den Zypressen. Es sind Bücher in dem
Haus, und es ist da ein großer, steinerner Kamin mit Holzbänken darin. Man kann
am Kamin vor dem Feuer sitzen. Die eisernen Feuerböcke sind so gemacht, daß sie
einen Halter tragen, in den man sein Glas stellen kann. Der rote Wein wird so
gewärmt. Keine Menschen. Nur ein altes Ehepaar, das Ordnung hält.«
Sie blickte Ravic an. »Schön«, sagte er. »Ruhe, ein
Feuer, Bücher und Frieden. Früher galt so etwas als Bürgerlichkeit. Heute ist
es der Traum von einem verlorenen Paradies.«
Sie nickte. »Ich will eine Zeitlang da bleiben. Ein paar
Wochen. Vielleicht auch einige Monate. Ich weiß es nicht. Ich will ruhig
werden. Und dann werde ich wiederkommen und nach Amerika zurückgehen.«
Ravic hörte, wie auf dem Korridor Tabletts mit dem
Abendessen vorübergetragen wurden. Ein paar Schüsseln klapperten. »Gut, Kate«,
sagte er.
Sie zögerte. »Kann ich noch ein Kind haben, Ravic?«
»Nicht sofort. Sie müssen erst viel kräftiger werden.«
»Das meine ich nicht. Kann ich es irgendwann? Nach dieser
Operation. Ist nicht ...«
»Nein«, sagte Ravic. »Wir haben nichts
herausgeschnitten.«
Sie atmete tief. »Das wollte ich wissen.«
»Es wird aber noch lange dauern, Kate. Ihr ganzer
Organismus muß sich erst ändern.«
»Es macht nichts, wie lange es dauern wird.« Sie strich
sich das Haar zurück. Der Stein auf ihrer Hand funkelte in der Dämmerung. »Es
ist lächerlich, daß ich das frage, wie? Gerade jetzt.«
»Nein. Das kommt oft vor. Öfter als man glaubt.«
»Ich habe genug von allem hier, plötzlich. Ich will
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