E.M. Remarque
war hier«, sagte er dann, »und wartete
auf dich. Ich glaubte, du würdest nicht mehr kommen, und da bin ich
fortgegangen.«
Joan wartete. Ihre Zigarette glühte in der Dunkelheit auf
und erlosch wieder.
»Das ist alles«, sagte Ravic.
»Bist du trinken gegangen?«
»Ja ...«
Joan drehte sich um und sah ihn an. »Ravic«, sagte sie,
»bist du wirklich deswegen fortgegangen?«
»Ja.«
Sie legte die Arme auf seine Knie. Er fühlte ihre Wärme
durch seinen Mantel. Es war ihre Wärme und die Wärme des Mantels, der ihm
bekannter war, als manche Jahre seines Lebens, und es erschien ihm plötzlich,
als gehörten beide schon lange zusammen und als wäre Joan von irgendwoher aus
seinem Leben zurückgekehrt.
»Ravic, ich bin doch jeden Abend zu dir gekommen. Du
mußtest doch wissen, daß ich gestern auch kommen würde. Bist du nicht
fortgegangen, weil du mich nicht sehen wolltest?«
»Nein.«
»Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du mich nicht sehen
willst.«
»Ich würde es dir sagen.«
»War es nicht das?«
»Nein, es war wirklich nicht das.«
»Dann bin ich glücklich.«
Ravic sah sie an. »Was sagst du da?«
»Ich bin glücklich«, wiederholte sie.
Er schwieg eine Weile. »Weißt du auch, was du sagst?«
fragte er dann.
»Ja.«
Der matte Lichtschein von draußen spiegelte sich in ihren
Augen. »Man soll so etwas nicht leichtfertig sagen, Joan.«
»Ich sage es auch nicht leichtfertig.«
»Glück«, sagte Ravic. »Wo fängt es an, und wo hört es
auf?«
Sein Fuß stieß an die Chrysanthemen. Glück, dachte er.
Die blauen Horizonte der Jugend. Die goldhelle Balance des Lebens, Glück! Mein
Gott, wo war das geblieben?
»Es fängt mit dir an und hört mit dir auf«, sagte Joan.
»Das ist doch ganz einfach.«
Ravic erwiderte nichts. Was redete sie da, dachte er. »Du
wirst mir gleich noch sagen, daß du mich liebst«, sagte er dann.
»Ich liebe dich.«
Er machte eine Bewegung. »Du kennst mich doch kaum.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Viel. Lieben – das ist jemand, mit dem man alt werden
will.«
»Davon weiß ich nichts. Es ist jemand, ohne den man nicht
leben kann. Das weiß ich.«
»Wo ist der Calvados?«
»Auf dem Tisch. Ich hole ihn dir. Bleib sitzen.«
Sie brachte die Flasche und ein Glas und stellte sie auf
den Boden zwischen die Blumen. »Ich weiß, daß du mich nicht liebst«, sagte sie.
»Dann weißt du mehr als ich.«
Sie sah rasch auf. »Du wirst mich lieben.«
»Gut. Darauf wollen wir trinken.«
»Warte.« Sie füllte das Glas und trank es aus. Dann goß
sie es wieder voll und reichte es ihm. Er nahm es und hielt es einen
Augenblick. Dies alles ist nicht wahr, dachte er. Ein halber Traum in der
verwelkenden Nacht. Worte, im Dunkeln gesprochen – wie können sie schon wahr
sein? Wirkliche Worte brauchen viel Licht. »Woher weißt du das alles so genau?«
fragte er.
»Weil ich dich liebe.«
Wie sie mit dem Wort umgeht, dachte Ravic. Ohne Bedenken,
wie mit einer leeren Schüssel. Sie füllt sie mit irgend etwas und nennt es
Liebe. Was hat man schon alles hineingefüllt! Angst vor dem Alleinsein,
Aufregung an einem andern Ich, Steigerung des Selbstgefühls, schimmernde
Spiegelung der Phantasie! Aber wer weiß es wirklich? Ist das, was ich gesagt
habe vom Altwerden, nicht das Törichtste von allem? Hat sie nicht viel mehr
recht mit ihrer Unbedenklichkeit? Und wozu sitze ich hier in einer Winternacht
zwischen Krieg und Krieg wie ein Schulmeister und spalte Worte? Wozu wehre ich
mich, anstatt mich ungläubig hineinzustürzen?
»Wozu wehrst du dich?« fragte Joan.
»Was?«
»Wozu wehrst du dich?« wiederholte sie.
»Ich wehre mich nicht – wogegen sollte ich mich wehren?«
»Ich weiß es nicht. Irgend etwas in dir ist verschlossen,
und du willst nichts und niemand hineinlassen.«
»Komm«, sagte Ravic. »Gib mir noch etwas zu trinken.«
»Ich bin glücklich, und ich möchte, daß du auch
Weitere Kostenlose Bücher