E.M. Remarque
glücklich
bist. Ich bin ganz glücklich. Ich wache auf mit dir, und ich gehe schlafen mit
dir. Ich weiß nichts anderes. Mein Kopf ist aus Silber, wenn ich an uns denke,
und manchmal wie eine Violine. Die Straßen sind voll von uns wie von Musik, und
ab und zu reden Menschen hinein, und wie im Film gleiten Bilder vorbei, aber
die Musik bleibt. Sie bleibt immer.«
Vor ein paar Wochen noch warst du unglücklich, dachte
Ravic, und kanntest mich nicht. Ein leichtes Glück! Er trank das Glas Calvados
aus. »Warst du oft glücklich?« fragte er.
»Nicht oft.«
»Aber manchmal. Wann war dein Kopf das letztemal aus
Silber?«
»Wozu fragst du das?«
»Um etwas zu fragen. Ohne Grund.«
»Ich habe es vergessen. Ich will es auch nicht mehr
wissen. Es war anders.«
»Es ist immer anders.«
Sie lächelte ihm zu. Ihr Gesicht war hell und offen wie
eine Blume mit wenigen Blütenblättern, die nichts versteckt. »Vor zwei Jahren«,
sagte sie. »Es dauerte nicht lange. In Mailand.«
»Warst du damals allein?«
»Nein. Ich war schon mit jemand anderem. Er war sehr
unglücklich und eifersüchtig und verstand es nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Du würdest es verstehen. Er machte furchtbare Szenen.«
Sie rückte sich zurecht, zog ein Kissen vom Sofa und schob es hinter den
Rücken. Dann lehnte sie sich gegen das Sofa. »Er beschimpfte mich. Ich sei eine
Hure und untreu und undankbar. Es war nicht wahr. Ich war ihm treu, solange ich
ihn liebte. Er verstand nicht, daß ich ihn nicht mehr liebte.«
»Das versteht man nie.«
»Doch, du würdest es verstehen. Aber ich werde dich auch
immer lieben. Du bist anders, und alles ist anders mit uns. Er wollte mich
töten.« Sie lachte. »Immer wollen sie einen töten. Ein paar Monate später
wollte mich der andere töten. Sie tun das nie. Du würdest mich nie töten
wollen.«
»Höchstens mit Calvados«, sagte Ravic. »Gib mir die
Flasche mal her. Die Unterhaltung wird gottlob menschlicher. Vor ein paar
Minuten war ich ziemlich erschrocken.«
»Weil ich dich liebe?«
»Wir wollen nicht wieder davon anfangen. Das ist wie
Spazierengehen in Reifrock und Perücke. Wir sind zusammen – für kurz oder lang,
wer weiß das? Wir sind zusammen, das ist genug. Wozu brauchen wir dann ein
Etikett?«
»Für kurz oder lang gefällt mir nicht. Aber das sind ja
nur Worte. Du wirst mich nicht verlassen. Das sind auch nur Worte, und du weißt
es.«
»Natürlich. Hat dich schon einmal jemand verlassen, den
du liebtest?«
»Ja.« Sie sah ihn an. »Einer verläßt doch immer. Manchmal
ist der andere schneller.«
»Und was hast du getan?«
»Alles!« Sie nahm das Glas aus seiner Hand und trank den
Rest aus. »Alles! Aber es hat nichts genutzt. Ich war entsetzlich unglücklich.«
»Lange?«
»Eine Woche.«
»Das ist nicht lange.«
»Es ist eine Ewigkeit,
wenn man wirklich unglücklich ist. Ich war so, mit allem, was ich bin,
unglücklich, daß nach einer Woche alles erschöpft war. Mein Haar war
unglücklich, meine Haut, mein Bett, meine Kleider sogar. Ich war so voll
Unglück, daß nichts sonst existierte. Und wenn nichts anderes existiert, fängt
Unglück an, kein Unglück mehr zu sein – weil nichts mehr da ist, womit man es
vergleichen kann. Dann ist es nur noch völlige Erschöpfung. Und dann ist es
vorbei. Man fängt langsam wieder an zu leben.«
Sie küßte seine Hand. Er fühlte die weichen, behutsamen
Lippen. »Was denkst du?« fragte sie.
»Nichts«, sagte er. »Nichts, als daß du von einer wilden
Unschuld bist. Völlig korrupt und überhaupt nicht. Das Gefährlichste auf der
Welt. Gib mir mal das Glas. Ich will auf meinem Freund Morosow, den Kenner des
menschlichen Herzens, trinken.«
»Ich mag Morosow nicht. Können wir nicht auf etwas
anderes trinken?«
»Natürlich magst du ihn nicht. Er hat gute Augen. Laß uns
auf dich trinken.«
»Auf mich?«
»Ja, auf dich.«
»Ich bin nicht gefährlich«, sagte Joan. »Ich
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