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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Le­ben, nie­mand küm­mert sich, Men­schen ge­hen
ru­hig schla­fen, und ich sit­ze hier mit ei­ner Frau zwi­schen blei­chen
Chrysan­the­men­blü­ten und ei­ner Fla­sche Cal­va­dos, und der Schat­ten der Lie­be
steigt auf, schau­dernd, fremd und trau­rig, ein­sam auch sie, ver­trie­ben aus den
si­che­ren Gär­ten der Ver­gan­gen­heit, scheu und wild und rasch, als hät­te sie kein
Recht…
    »Jo­an«, sag­te er lang­sam und woll­te et­was ganz an­de­res
sa­gen. »Es ist schön, daß du da bist.«
    Sie sah ihn an.
    Er nahm ih­re Hän­de. »Du ver­stehst, was das heißt? Mehr
als tau­send Wor­te ...«
    Sie nick­te. Ih­re Au­gen wa­ren plötz­lich voll Trä­nen. »Es
heißt gar nichts«, sag­te sie. »Ich weiß es.«
    »Das ist nicht rich­tig«, er­wi­der­te Ra­vic und wuß­te, daß
es rich­tig war.
    »Nein. Gar nichts. Du mußt mich lie­ben, Liebs­ter, das ist
al­les.«
    Er ant­wor­te­te nicht.
    »Du mußt mich lie­ben«, wie­der­hol­te sie. »Sonst bin ich
ver­lo­ren.«
    Ver­lo­ren …, dach­te er. Wie schnell sie das sagt! Wer
wirk­lich ver­lo­ren ist, spricht nicht mehr.

12
    12    »Ha­ben
Sie das Bein ab­ge­nom­men?« frag­te
Jean­not.
    Sein schma­les Ge­sicht war blut­los und weiß wie ei­ne al­te
Haus­wand. Die Som­mer­spros­sen sta­chen so dun­kel dar­aus her­vor, als ge­hör­ten sie
nicht da­zu und wä­ren mit Far­be über­ge­spren­kelt. Der Bein­stumpf lag un­ter ei­nem
Draht­korb, über den die De­cke ge­brei­tet war.
    »Hast du Schmer­zen?« frag­te Ra­vic.
    »Ja. Im Fuß. Der Fuß tut sehr weh. Ich ha­be die Schwes­ter
ge­fragt. Der al­te Dra­che will es mir nicht sa­gen.«
    »Dein Bein ist am­pu­tiert«, sag­te Ra­vic.
    »Über dem Knie oder un­ter dem Knie?«
    »Zehn Zen­ti­me­ter dar­über. Das Knie war zer­schmet­tert und
nicht zu ret­ten.«
    »Gut«, sag­te Jean­not. »Das gibt un­ge­fähr zehn Pro­zent
mehr bei der Ver­si­che­rung. Sehr gut. Ein künst­li­ches Bein ist ein künst­li­ches
Bein, über oder un­ter dem Knie. Aber fünf­zehn Pro­zent mehr sind et­was, was man
je­den Mo­nat in die Ta­sche ste­cken kann.« Er zö­ger­te einen Au­gen­blick. »Bes­ser,
Sie sa­gen es mei­ner Mut­ter vor­läu­fig nicht. Se­hen kann sie es ja nicht mit
die­sem Pa­pa­gei­en­kä­fig über dem Stumpf da.«
    »Wir wer­den ihr nichts sa­gen, Jean­not.«
    »Die Ver­si­che­rung muß ei­ne Ren­te fürs Le­ben zah­len. Das
stimmt doch, nicht wahr?«
    »Ich glau­be.«
    Das kä­si­ge Ge­sicht ver­zog sich zu ei­ner Gri­mas­se. »Die
wer­den stau­nen. Ich bin drei­zehn Jah­re alt. Die wer­den lan­ge zah­len müs­sen.
Wis­sen Sie schon, wel­che Ver­si­che­rung es ist?«
    »Noch nicht. Aber wir ha­ben die Num­mer des Au­tos. Du hast
sie dir ja ge­merkt. Die Po­li­zei war schon hier. Sie will dich ver­neh­men. Du
schliefst noch heu­te mor­gen. Sie will heu­te abend wie­der­kom­men.«
    Jean­not dach­te nach. »Zeu­gen«, sag­te er dann. »Es ist
wich­tig, daß wir Zeu­gen ha­ben. Ha­ben wir wel­che?«
    »Ich glau­be, dei­ne Mut­ter hat zwei Adres­sen. Sie hat­te
die Zet­tel in der Hand.«
    Der Jun­ge wur­de un­ru­hig. »Sie wird sie ver­lie­ren. Wenn
sie sie nur nicht schon ver­lo­ren hat. Sie wis­sen, wie al­te Leu­te sind. Wo ist
sie jetzt?«
    »Dei­ne Mut­ter hat die Nacht über bis heu­te mit­tag an
dei­nem Bett ge­ses­sen. Dann ha­ben wir sie weg­schi­cken kön­nen. Sie wird bald
wie­der­kom­men.«
    »Hof­fent­lich hat sie sie noch. Die Po­li­zei …« Er mach­te
ei­ne schwa­che Ges­te mit der ab­ge­zehr­ten Hand. »Gau­ner«, mur­mel­te er. »Al­les
Gau­ner. Ste­cken mit den Ver­si­che­run­gen zu­sam­men. Aber wenn man gu­te Zeu­gen hat
… wann kommt sie zu­rück?«
    »Bald. Reg dich nicht auf des­we­gen. Es wird schon in
Ord­nung sein.«
    Jean­not be­weg­te den Mund, als kaue er an et­was. »Manch­mal
zah­len sie das Geld auch auf einen Schlag aus. Als Ab­fin­dung. Statt ei­ner
Ren­te. Wir könn­ten ein Ge­schäft da­mit an­fan­gen, Mut­ter und ich.«
    »Ruh dich jetzt aus«, sag­te Ra­vic. »Du kannst dar­über
noch im­mer nach­den­ken.«
    Der Jun­ge schüt­tel­te den Kopf. »Doch«, sag­te Ra­vic. »Du
mußt frisch sein, wenn die Po­li­zei kommt.«
    »Ja, rich­tig. Was soll ich denn

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