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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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nicht mehr auf der Stra­ße
her­um­lau­fen.
    Er sah drau­ßen ei­ne Hu­re her­um­schlen­dern. Sie blick­te
durch das Fens­ter hin­ein und ging wei­ter. Wenn sie zu­rück­kommt, ge­he ich,
dach­te er. Die Hu­re kam zu­rück. Er ging nicht. Wenn sie noch ein­mal
wie­der­kommt, ge­he ich be­stimmt, be­schloß er. Haa­ke ist dann nicht in Pa­ris. Die
Hu­re kam zu­rück. Sie wink­te ihm mit dem Kopf und ging vor­über. Er blieb sit­zen.
Sie kam noch ein­mal zu­rück. Er ging nicht.
    Der Kell­ner stell­te die Stüh­le auf den Tisch. Die
Chauf­feu­re zahl­ten und ver­lie­ßen das Bistro. Der Kell­ner dreh­te das Licht über
der The­ke aus. Der Raum sank in schmut­zi­ge Däm­me­rung. Ra­vic sah sich um.
»Zah­len«, sag­te er.
    Drau­ßen war es win­di­ger und käl­ter ge­wor­den. Die Wol­ken
zo­gen hö­her und ra­scher. Er kam an Jo­ans Ho­tel vor­bei und blieb ste­hen. Al­le
Fens­ter wa­ren dun­kel, bis auf ei­nes, in dem ei­ne Lam­pe hin­ter den Vor­hän­gen
schim­mer­te. Es war Jo­ans Zim­mer. Er wuß­te, daß sie es haß­te, in ein dunkles
Zim­mer zu kom­men. Sie hat­te das Licht bren­nen las­sen, weil sie heu­te nicht zu
ihm kam. Er blick­te auf und be­griff sich plötz­lich nicht mehr. Wo­zu hat­te er
sie nicht se­hen wol­len? Die Er­in­ne­rung an je­ne Frau war längst ver­schol­len; nur
die Er­in­ne­rung an ih­ren Tod war ge­blie­ben.
    Und das an­de­re? Was hat­te das mit ihr zu tun? Was hat­te
es so­gar mit ihm selbst noch zu tun? War er nicht ein Narr, daß er ei­ner
Täu­schung nach­jag­te, dem Re­flex ei­ner ver­knäu­el­ten, schwar­zen Er­in­ne­rung, ei­ner
fins­te­ren Re­ak­ti­on – daß er wie­der zu wüh­len be­gann in den Schla­cken to­ter
Jah­re, auf­ge­rührt durch einen Zu­fall, ei­ne ver­fluch­te Ähn­lich­keit – daß er ein
Stück ver­faul­ter Ver­gan­gen­heit, ei­ne Schwä­che kaum ver­heil­ter Neu­ro­se wie­der
auf­bre­chen ließ und al­les da­durch in Ge­fahr brach­te, was er in sich auf­ge­baut
hat­te, und den ein­zi­gen Men­schen, in all dem Glei­ten, der ihm ver­bun­den war?
Was hat­te das ei­ne mit dem an­dern zu tun? Hat­te er sich das nicht selbst im­mer
wie­der ge­lehrt? Wie wä­re er sonst ent­kom­men? Und wo wä­re er sonst ge­blie­ben?
    Er spür­te, wie das Blei in sei­nen Glie­dern schmolz. Er
at­me­te tief. Der Wind kam mit ra­schen Stö­ßen die Stra­ßen ent­lang. Er blick­te
wie­der auf das er­leuch­te­te Fens­ter. Da war je­mand, dem er et­was be­deu­te­te,
je­mand, für den er wich­tig war, je­mand, des­sen Ge­sicht sich ver­än­der­te, wenn es
ihn sah – und er hat­te es ei­ner ver­zerr­ten Il­lu­si­on, dem un­ge­dul­dig ab­wei­sen­den
Hoch­mut ei­ner blas­sen Ra­che­hoff­nung op­fern wol­len …
    Was woll­te er denn? Wo­zu wehr­te er sich? Wo­zu hob er sich
auf? Das Le­ben hielt sich ihm hin, und er mach­te Ein­wen­dun­gen. Nicht, weil es
zu­we­nig – weil es zu­viel war. Muß­te erst das blu­ti­ge Ge­wit­ter der Ver­gan­gen­heit
über ihn hin­weg­ge­hen, da­mit er das er­ken­nen konn­te? Er be­weg­te die Schul­tern.
Herz, dach­te er. Herz! Wie es sich öff­ne­te! Wie es sich be­weg­te! Fens­ter,
dach­te er, ein­sa­mes, leuch­ten­des Fens­ter in der Nacht, Wi­der­schein ei­nes
an­de­ren Le­bens, das sich un­ge­stüm ihm ent­ge­gen­ge­wor­fen hat­te, of­fen, be­reit,
bis auch er sich öff­ne­te. Die Flam­me der Lust, das Elms­feu­er der Zärt­lich­keit,
das hel­le, ra­sche Wet­ter­leuch­ten des Blu­tes – man kann­te das, man kann­te al­les,
man kann­te so viel, daß man glaub­te, nie wie­der wür­de die wei­che, gol­de­ne
Ver­wir­rung das Ge­hirn über­schwem­men kön­nen –, und dann stand man plötz­lich in
ei­ner Nacht vor ei­nem dritt­klas­si­gen Ho­tel, und es stieg wie Rauch aus dem
As­phalt, und man spür­te es, als käme von der an­dern Sei­te der Er­de, von blau­en
Ko­kos­in­seln, die Wär­me ei­nes tro­pi­schen Früh­lings, fil­te­re sich durch Ozea­ne,
Ko­ral­len­grün­de, La­va und Dun­kel­heit und stie­ge jäh auf in Pa­ris, in der
schä­bi­gen Rue de Pon­ce­let, mit dem Duft von Hi­bis­kus und Mi­mo­sen, in ei­ner
Nacht voll Ra­che und Ver­gan­gen­heit, un­wi­der­steh­lich,

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