E.M. Remarque
mit
syphilitischer Nase bot Veilchen an.
Morosow sah auf seine Uhr. »Acht«, sagte er. »Zwecklos,
weiter zu warten, Ravic. Wir sitzen schon über zwei Stunden hier. Der Mann
kommt um diese Zeit nicht mehr zurück. Jeder Mensch in Frankreich ißt im
Augenblick irgendwo zu Abend.«
»Geh ruhig, Boris. Wozu sollst du überhaupt mit mir hier
’rumsitzen?«
»Das hat nichts zu tun. Ich kann mit dir hier sitzen,
solange wir wollen. Aber ich will nicht, daß du dich verrückt machst. Es ist
sinnlos, daß du hier noch stundenlang wartest. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zu
treffen, ist jetzt überall gleich. Im Gegenteil: Sie ist jetzt sogar größer in
jedem Restaurant, in jedem Nachtklub, in jedem Bordell.«
»Ich weiß, Boris.«
Morosow legte seine große, behaarte Hand auf Ravics Arm.
»Ravic«, sagte er. »Hör mich an. Wenn du den Mann treffen sollst, wirst du ihn
treffen – und wenn nicht, dann kannst du Jahre auf ihn warten. Du weißt, was
ich meine. Halte deine Augen offen – überall. Und sei auf alles vorbereitet.
Aber sonst lebe so, als hättest du dich geirrrt. Wahrscheinlich hast du das
auch. Das ist das einzige, was du tun kannst. Du machst dich sonst kaputt. Ich habe
das auch schon gehabt. Vor ungefähr zwanzig Jahren. Glaubte alle Augenblicke,
einen der Henker meines Vaters zu sehen; Halluzinationen.« Er trank sein Glas
aus. »Verdammte Halluzinationen. Und jetzt komm mit mir. Wir wollen irgendwo
essen gehen.«
»Geh du essen, Boris. Ich komme später.«
»Willst du hier sitzen bleiben?«
»Nur noch einen Augenblick. Ich gehe dann zum Hotel. Habe
da noch etwas zu tun.«
Morosow sah ihn an. Er wußte, was Ravic im Hotel wollte.
Aber er wußte auch, daß er nichts mehr tun konnte. Dies ging Ravic allein an.
»Gut«, sagte er. »Ich bin bei der ›Mère Marie‹. Später im ›Bubilshki‹. Ruf mich
an oder komm.« Er hob seine buschigen Augenbrauen. »Und riskiere nichts. Sei
kein unnötiger Held! Und kein verdammter Idiot. Schieße nur, wenn du bestimmt
entkommen kannst. Dies ist kein Kinderspiel und kein Gangsterfilm.«
»Das weiß ich, Boris, sei unbesorgt.«
Ravic ging zum Hotel International und von da gleich
zurück. Unterwegs kam er am Hotel Milan vorbei. Er sah auf die Uhr. Es war halb
neun.
Er konnte Joan noch zu Hause treffen.
Sie kam ihm entgegen. »Ravic«, sagte sie überrascht. »Du
kommst hierher?«
»Ja ...«
»Du bist noch nie hiergewesen, weißt du das? Seit damals,
als du mich abgeholt hast.«
Er lächelte abwesend. »Es ist wahr, Joan, wir führen ein
sonderbares Leben.«
»Ja. Wie die Maulwürfe oder Fledermäuse. Oder Eulen. Wir
sehen uns nur, wenn es dunkel ist.«
Sie ging mit langen, weichen Schritten im Zimmer hin und
her. Sie trug einen dunkelblauen Dressing-gown, der wie der eines Mannes
geschnitten und mit einem Gürtel fest um die Hüften gezogen war. Auf dem Bett
lag das schwarze Abendkleid, das sie in der Scheherazade brauchte. Sie war sehr
schön und unendlich weit weg.
»Mußt du nicht gehen, Joan?«
»Noch nicht. Erst in einer halben Stunde. Dies ist meine
beste Zeit. Die Stunde, bevor ich fort muß. Du siehst, was ich dann habe.
Kaffee und alle Zeit der Welt. Und nun bist du sogar da. Ich habe auch
Calvados.«
Sie brachte die Flasche. Er nahm sie und stellte sie
ungeöffnet auf den Tisch. Dann nahm er behutsam ihre Hände.
»Joan«, sagte er.
Das Licht in ihren Augen erlosch. Sie stand dicht vor
ihm. »Sag mir nur gleich, was es ist...«
»Warum? Was soll es sein?«
»Irgend etwas. Wenn du so bist, ist es immer irgend
etwas. Bist du deshalb gekommen?«
Er fühlte, daß ihre Hände von ihm wegstrebten. Sie
bewegte sich nicht. Auch ihre Hände bewegten sich nicht. Es war nur, als ob in
ihnen sich etwas fortzöge von ihm. »Du kannst heute abend nicht kommen, Joan.
Heute nicht und vielleicht morgen und einige Tage nicht.«
»Mußt du in der Klinik
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