E.M. Remarque
bleiben?«
»Nein. Es ist etwas anderes. Ich kann nicht darüber
sprechen. Aber es ist etwas, das nichts mit dir und mir zu tun hat.«
Sie stand eine Weile regungslos. »Gut«, sagte sie dann.
»Du verstehst es?«
»Nein. Aber wenn du es sagst, wird es richtig sein.«
»Du bist nicht böse?«
Sie sah ihn an. »Mein Gott, Ravic«, sagte sie. »Wie
könnte ich dir jemals für etwas böse sein?«
Er blickte auf. Ihm war, als hätte eine Hand sich fest
auf sein Herz gelegt. Joan hatte ohne Absicht gesagt, was sie gesagt hatte,
aber sie hätte nicht mehr tun können, um ihn zu treffen. Er gab nur wenig auf
das, was sie in den Nächten stammelte und flüsterte; es war vergessen, wenn der
Morgen grau vor dem Fenster rauchte. Er wußte, daß die Hingerissenheit in den
Stunden, wenn sie neben ihm hockte oder lag, ebensoviel Hingerissenheit über
sie selbst war, und er nahm es als Rausch und leuchtende Konfession der Stunde,
aber nie mehr als das. Jetzt zum erstenmal, wie ein Flieger, der durch einen
Riß glänzender Wolken, auf denen das Licht Verstecken spielt, unten plötzlich
die Erde grün und braun und glänzend erblickt, sah er mehr. Er sah unter
Hingerissenheit Hingabe, unter Rausch Gefühl, unter dem Geklirr der Worte
einfaches Vertrauen. Er hatte Mißtrauen, Fragen und Verständnislosigkeit
erwartet – aber nicht dieses. Es waren immer die kleinen Dinge, die Aufschluß
gaben, nie die großen. Die großen lagen zu nahe der dramatischen Geste und der
Verführung zur Lüge.
Ein Raum. Ein Hotelraum. Ein paar Koffer, ein Bett,
Licht, vor dem Fenster die schwarze Öde der Nacht und der Vergangenheit – und
ein helles Gesicht hier mit grauen Augen und hohen Brauen und dem kühnen Schwung
des Haares – Leben, biegsames Leben, ihm offen zugewandt, wie ein Oleanderbusch
dem Licht – da war es, da stand es, wartend, schweigend, ihm zurufend: Nimm
mich! Halte mich! Hatte er nicht einmal, vor langer Zeit, gesagt: Ich werde
dich schon halten?
Er stand auf. »Gute Nacht, Joan.«
»Gute Nacht, Ravic.«
Er saß vor dem Café Fouquet’s. Er saß an demselben
Tisch wie vorher. Er saß Stunde um Stunde da, vergraben in der Finsternis der
Vergangenheit, in der nur ein einziges schwaches Licht brannte: die Hoffnung
auf Rache.
Man hatte ihn im August 1933 verhaftet. Er hatte zwei
Freunde, die von der Gestapo gesucht wurden, vierzehn Tage bei sich verborgen
gehalten und ihnen dann geholfen, zu fliehen. Einer davon hatte ihm 1917, vor
Bixschoote in Flandern, das Leben gerettet und ihn, als er langsam verblutend
im Niemandsland lag, unter gedecktem Maschinengewehrfeuer zurückgeholt. Der
zweite war ein jüdischer Schriftsteller, den er seit Jahren kannte. Man brachte
ihn zum Verhör; man wollte wissen, in welcher Richtung beide geflohen wären,
was für Papiere sie hätten und wer ihnen unterwegs behilflich sein würde. Haake
hatte ihn verhört. Nach der ersten Ohnmacht hatte er versucht, Haake mit seinem
Revolver zu erschießen oder ihn zu erschlagen. Er sprang in eine krachende,
rote Dunkelheit hinein. Es war ein sinnloser Versuch gegen vier bewaffnete,
kräftige Leute gewesen. Drei Tage lang tauchte dann aus Ohnmacht, langsamem Erwachen,
rasenden Schmerzen immer wieder das kühle, lächelnde Gesicht Haakes auf. Drei
Tage dieselben Fragen – drei Tage derselbe Körper, zerschlagen, fast unfähig,
mehr zu leiden. Und dann, am Nachmittag des dritten Tages, brachte man die
Frau. Sie wußte von nichts. Man zeigte ihn ihr, damit sie aussagen solle. Sie
war ein luxuriöses, schönes Geschöpf, das ein spielerisches, belangloses Leben
geführt hatte. Er erwartete, daß sie schreien und zusammenbrechen würde. Sie
war nicht zusammengebrochen. Sie war auf die Henker losgefahren. Sie hatte
tödliche Worte
Weitere Kostenlose Bücher