E.M. Remarque
Hätte ich sonst diesen Rentier ausgepreßt und seinen
Glauben an die göttliche Weltordnung der Ausbeutung erschüttert? Morgen wird er
salbungsvoll am Bett des Spitzbauchs sitzen und Dankessprüche für seine Arbeit
entgegennehmen. Vorsichtig, da war noch eine Klammer! Der Spitzbauch ist eine
Woche in Antibes für Joan und mich. Eine Woche Licht im Aschenregen der Zeit.
Ein blaues Stück Himmel, bevor das Gewitter kommt. Nun den Saum der Bauchdecke.
Extra fein, für die zweitausend Frank. Ich sollte eine Schere mit einnähen als
Andenken an Meyer. Das sausende, weiße Licht. Warum denkt man nur so viel
durcheinander? Zeitungen wahrscheinlich, Radio. Das endlose Geplärr der Lügner
und Feiglinge. Dekonzentration durch Wortlawinen. Konfuse Gehirne. Offen für
jeden demagogischen Dreck. Nicht mehr gewohnt, das harte Brot der Erkenntnis zu
kauen. Zahnlose Gehirne. Blödsinn. So, das ist auch fertig. Jetzt noch die
Schlabberhaut. In ein paar Wochen kann er dann wieder zitternde Refugiés
ausweisen. Vielleicht wird er auch milder ohne Gallenblase. Wenn er nicht
stirbt. So was stirbt mit achtzig, geehrt, mit Selbstrespekt und stolzen
Enkeln. Fertig. Weg mit ihm!
Ravic zog die Handschuhe von den Händen und die Maske vom
Gesicht. Der hohe Beamte glitt auf lautlosen Rädern aus dem Operationsraum.
Ravic blickte ihm nach. Wenn du das wüßtest, Leval! dachte er. Daß deine
hochlegale Galle mir illegalem Flüchtling ein paar äußerst illegale Tage an der
Riviera bescheren wird!
Er begann sich zu waschen. Neben ihm wusch Durant sich
langsam und methodisch die Hände. Die Hände eines alten Mannes mit hohem
Blutdruck. Während er sich die Finger sorgfältig rieb, kaute er im Rhythmus mit
dem Unterkiefer langsam und mahlend, als zerriebe er Korn. Wenn er aufhörte zu
reiben, hörte er auch auf zu kauen. Wenn er wieder begann, setzte das Kauen
ebenfalls wieder ein. Er wusch sich diesmal besonders langsam und lange. Er
will die zweitausend Frank noch ein paar Minuten länger behalten, dachte Ravic.
»Worauf warten Sie noch?« fragte Durant nach einer Weile.
»Auf Ihren Scheck.«
»Ich werde Ihnen das Geld schicken, wenn der Patient
bezahlt. Das wird einige Wochen sein, nachdem er aus der Klinik entlassen ist.«
Durant begann sich die Hände abzutrocknen. Dann griff er
nach einer Flasche Eau de Cologne d’Orsay und rieb sich damit ein. »Sie trauen
mir doch wohl so viel – wie?« fragte er.
Gauner, dachte Ravic. Will noch ein bißchen Demütigung
herausquetschen. »Sie sagten doch, daß der Patient ein Freund von Ihnen sei,
der Ihnen nur die Unkosten bezahle.«
»Ja …«, erwiderte Durant unverbindlich.
»Nun … die Unkosten sind ein paar Frank für Material und
die Schwestern. Die Klinik gehört Ihnen. Wenn Sie hundert Frank für alles
rechnen … die können Sie abziehen und mir später geben.«
»Die Unkosten, Doktor Ravic«, erklärte Durant und richtete
sich auf, »sind leider bedeutend höher, als ich dachte. Die zweitausend Frank
für Sie gehören mit dazu. Infolgedessen muß ich sie dem Patienten auch
aufrechnen.« Er schnupperte an seinen Händen nach dem Eau de Cologne. »Sie
sehen ...«
Er lächelte. Seine gelben Zähne bildeten einen lebendigen
Kontrast zu seinem schneeweißen Bart. Als hätte jemand im Schnee gepißt, dachte
Ravic. Immerhin, zahlen wird er. Veber wird mir das Geld daraufhin geben. Ich
werde diesem alten Bock den Gefallen nicht tun, ihn jetzt noch darum zu bitten.
»Schön«, sagte er. »Wenn es so schwierig für Sie ist,
dann schicken Sie es mir später.«
»Es ist nicht schwierig für mich. Obschon Ihre Forderung
plötzlich und überraschend war. Es ist der Ordnung halber.«
»Gut, dann machen wir es der Ordnung halber; es
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