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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arc de Triomphe
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Luft war mil­de und feucht. Wie an­ge­glüh­tes Ei­sen hing
der Him­mel tief zwi­schen den Dä­chern. »Ich wer­de Ih­nen ein Ta­xi ho­len, Ka­te.«
    »Nein. Ich will bis zur Ecke ge­hen. Ich fin­de da ei­nes.
Es ist fast das ers­te­mal, daß ich wie­der drau­ßen bin.«
    »Wie ist es?«
    »Wie Wein.«
    »Soll ich Ih­nen nicht doch ein Ta­xi ho­len?«
    »Nein. Ich will ge­hen.«
    Sie blick­te die nas­se Stra­ße ent­lang. Dann lach­te sie.
»In ir­gend­ei­nem Win­kel ist im­mer noch ein biß­chen Angst. Ge­hört das auch da­zu?«
    »Ja. Das ge­hört da­zu.«
    »Adieu, Ra­vic.«
    »Adieu, Ka­te.«
    Sie stand noch ei­ne Se­kun­de, als woll­te sie et­was sa­gen.
Dann ging sie die Stu­fen hin­ab, mit vor­sich­ti­gen Schrit­ten, schmal, noch
ge­schmei­dig, die Stra­ße ent­lang, in den veil­chen­far­be­nen Abend und ih­ren
Un­ter­gang. Sie sah sich nicht mehr um.
    Ra­vic ging zu­rück. Als er an dem Zim­mer vor­bei­kam, in dem
Ka­te Hegström ge­le­gen hat­te, hör­te er Mu­sik. Er­staunt blieb er ste­hen. Er
wuß­te, daß noch kein neu­er Pa­ti­ent da war.
    Vor­sich­tig öff­ne­te er die Tür und sah die Schwes­ter, die
vor ei­nem Gram­mo­phon knie­te. Sie fuhr zu­sam­men, als sie Ra­vic hör­te, und sprang
auf. Das Gram­mo­phon spiel­te ei­ne al­te Plat­te: »Le der­nier val­se«.
    Das Mäd­chen strich sich das Kleid glatt. »Miß Hegström
hat mir das Gram­mo­phon ge­schenkt«, sag­te sie. »Es ist ein ame­ri­ka­ni­scher
Ap­pa­rat. Man kann ihn hier nicht kau­fen. Nir­gend­wo in Pa­ris. Es ist der ein­zi­ge
hier. Ich ha­be ihn rasch ein­mal pro­biert. Er spielt fünf Plat­ten au­to­ma­tisch.«
    Sie glüh­te vor Stolz. »Er ist min­des­tens drei­tau­send
Frank wert. Und all die Plat­ten da­zu. Es sind sechs­und­fünf­zig. Au­ßer­dem ist
noch ein Ra­dio drin. Das nennt man Glück.«
    Glück, dach­te Ra­vic. Schon wie­der. Hier war es ein
Gram­mo­phon. Er blieb ste­hen und hör­te zu. Die Gei­ge flog wie ei­ne Tau­be über
dem Or­che­s­ter auf, kla­gend und sen­ti­men­tal. Es war ei­ner der Schmacht­fet­zen,
die manch­mal mehr ans Herz grif­fen als al­le Nok­tur­nen von Cho­pin. Ra­vic sah
sich um. Das Bett ab­ge­deckt und die Ma­trat­ze hoch­ge­stellt. Die Wä­sche lag in
ei­nem Hau­fen ne­ben der Tür. Die Fens­ter stan­den of­fen. Der Abend starr­te
iro­nisch her­ein. Ein ver­weh­ter Ge­ruch von Par­füm und die aus­klin­gen­den Ak­kor­de
ei­nes Sa­lon­wal­zers wa­ren das, was von Ka­te Hegström zu­rück­ge­blie­ben war.
    »Ich kann nicht al­les auf ein­mal mit­neh­men«, sag­te die
Schwes­ter. »Es ist zu schwer. Ich wer­de erst den Ap­pa­rat mit­neh­men und dann
noch zwei­mal ge­hen und die Plat­ten ho­len. Viel­leicht auch drei­mal. Es ist
wun­der­bar. Man könn­te ein Café da­mit auf­ma­chen.«
    »Gu­te Idee«, sag­te Ra­vic. »Sei­en Sie vor­sich­tig, da­mit
Sie nichts zer­bre­chen.«

15
    15    Ra­vic
er­wach­te sehr lang­sam. Er lag noch ei­ne Zeit­lang in dem son­der­ba­ren
Zwie­licht von Traum und Wirk­lich­keit – der Traum war noch da, blas­ser und
fet­zen­haf­ter –, und gleich­zei­tig wuß­te er schon, daß er träum­te. Er war im
Schwarz­wald, in der Nä­he der deut­schen Gren­ze, auf ei­ner klei­nen Bahn­sta­ti­on.
Ein Was­ser­fall lärm­te in der Nä­he. Der Ge­ruch der Tan­nen kam von den Ber­gen. Es
war Som­mer, und das Tal war voll vom Ge­ruch von Harz und Wie­sen. Die Schie­nen
der Bahn blink­ten rot in der Abend­son­ne – als wä­re ein Zug, aus dem Blut
tropf­te, über sie ge­fah­ren. Was ma­che ich hier? dach­te Ra­vic. Was ma­che ich
hier in Deutsch­land? Ich bin doch in Frank­reich. Ich bin doch in Pa­ris. Er
glitt über ei­ne wei­che, schil­lern­de Wo­ge, die ihn mehr mit Schlaf
über­schüt­te­te. Pa­ris … da zer­floß es schon, war nur noch im Ne­bel, ver­sank. Er
war nicht in Pa­ris. Er war in Deutsch­land. Wes­halb war er nur noch ein­mal
hier­her­ge­kom­men?
    Er ging über den klei­nen Bahn­hof. Der Schaff­ner stand
ne­ben dem Zei­tungs­stand. Er las den »Völ­ki­schen Be­ob­ach­ter« und war ein Mann
mitt­le­ren Al­ters mit ei­nem di­cken Ge­sicht und sehr blon­den Au­gen­brau­en. »Wann
geht der nächs­te Zug?« frag­te Ra­vic.
    Der Schaff­ner sah

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