E.M. Remarque
glaubten, sie würde attackiert. Wir zogen uns vorsichtig zurück.
«Raus, ihr undankbaren Schweine!» rief Fritzi unversöhnlich.
«Schön»,
sagte Willy an der Tür. «Dann gehen wir eben zur Rollstraße.»
Wir
standen mit unseren Uniformen, unseren Mordwaffen und den Ohrfeigen draußen.
Aber wir kamen nicht zur Rollstraße, zum zweiten Puff der Stadt. Es war ein Weg
von über zwei Stunden, quer durch ganz Werdenbrück, und wir ließen uns lieber
statt dessen rasieren. Auch das war das erstemal in unserem Leben, und da wir
den Beischlaf nicht kannten, schien uns der Unterschied nicht so groß wie
später, zumal uns auch der Friseur beleidigte und uns Radiergummi für unsere
Barte empfahl. Nachher trafen wir dann weitere Bekannte, und bald hatten wir
genug getrunken und vergaßen alles. So kam es, daß wir als Jungfrauen ins Feld
fuhren und daß siebzehn von uns fielen, ohne je gewußt zu haben, was eine Frau
ist. Willy und ich verloren unsere Jungfernschaft dann in Houthoulst in
Flandern in einem Estaminet. Willy holte sich dabei einen Tripper, kam ins
Lazarett und entging so der Flandernschlacht, in der die siebzehn Jungfrauen
fielen. Wir sahen daran bereits damals, daß Tugend nicht immer belohnt wird.
Wir
wandern durch die laue Sommernacht. Otto Bambuss hält sich an mich als den
einzigen, der zugibt, den Puff zu kennen. Die anderen kennen ihn auch, tun aber
unschuldig, und der einzige, der behauptet, ein fast täglicher Gast dort zu
sein, der Dramatiker und Schöpfer des Monowerkes «Adam», Paul Schneeweiß, lügt;
er ist nie dort gewesen.
Ottos
Hände schwitzen. Er erwartet Priesterinnen der Lust, Bacchantinnen und
dämonische Raubtiere, und ist nicht ganz sicher, ob er nicht mit
herausgerissener Leber oder zumindest ohne Hoden in Eduards Opel
zurücktransportiert wird. Ich tröste ihn.
«Verletzungen
kommen höchstens ein-, zweimal in der Woche vor, Otto! Und dann sind sie fast
immer viel harmlosere Vorgestern wurde einem Gast von Fritzi ein Ohr
abgerissen; aber soviel ich weiß, kann man Ohren wieder annähen oder durch
Zelluloidohren von täuschender Ähnlichkeit ersetzen.»
«Ein
Ohr?» Otto bleibt stehen.
«Es
gibt natürlich Damen, die keine abreißen», erwidere ich. «Aber die willst du ja
nicht kennenlernen. Du willst doch das Urweib in seiner ganzen Pracht haben.»
«Ein
Ohr ist ein ziemlich großes Opfer», erklärt Otto, die schwitzende Bohnenstange,
und reibt die Gläser seines Kneifers trocken.
«Die
Poesie verlangt Opfer. Du würdest mit einem abgerissenen Ohr im wahrsten Sinne
ein blutdurchströmter Lyriker sein. Komm!»
«Ja,
aber ein Ohr! Etwas, was man so deutlich sieht!»
«Wenn
ich die Wahl hätte», sagt Hans Hungermann, «ich würde mir lieber ein Ohr
abreißen lassen als kastriert zu werden, offen gestanden.»
«Was?»
Otto bleibt wieder stehen. «Ihr macht Witze! Das kommt doch nicht vor!»
«Es
kommt vor», erklärt Hungermann. «Leidenschaft ist zu allem fähig. Aber beruhige
dich, Otto: Kastration steht unter dem Strafgesetz. Die Frau bekommt dafür
mindestens ein paar Monate Gefängnis – du wirst also gerächt.»
«Unsinn!»
stammelt Bambuss, mühsam lächelnd. «Ihr macht eure blöden Witze mit mir!»
«Wozu
sollen wir Witze machen?» sage ich. «Das wäre gemein. Ich empfehle dir gerade
deswegen Fritzi. Sie ist Ohrenfetischistin. Wenn die Passion über sie kommt,
hält sie sich mit beiden Händen krampfhaft an den Ohren ihres Partners fest. Du
bist so absolut sicher, daß du nicht anderswo beschädigt wirst. Eine dritte
Hand hat sie nicht.»
«Aber
noch zwei Füße», erklärt Hungermann. «Mit den Füßen verrichten sie manchmal
wahre Wunder. Sie lassen die Nägel lang wachsen und schärfen sie.»
«Ihr
schwindelt», sagt Otto
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