E.M. Remarque
gequält. «Laßt doch den Unsinn!»
«Hör
zu», erwidere ich. «Ich will nicht, daß du verstümmelt wirst. Du würdest dann
emotionell gewinnen, aber seelisch stark verlieren, und deine Lyrik würde
schlecht dabei fahren. Ich habe hier eine Taschen-Nagelfeile, klein, handlich,
gemacht für den adretten Lebemann, der immer elegant sein muß. Steck sie ein.
Halte sie in der hohlen Hand verborgen oder verstecke sie in der Matratze,
bevor es losgeht. Wenn du merkst, daß es zu gefährlich wird, genügt ein
kleiner, ungefährlicher Stich in den Hintern Fritzis. Es braucht kein Blut
dabei zu fließen. Jeder Mensch läßt los, wenn er gestochen wird, sogar von
einer Mücke, und greift nach dem Orte des Stichs, das ist ein Grundgesetz der
Welt. In der Zwischenzeit entkommst du.»
Ich
nehme ein rotledernes Taschenetui hervor, in dem ein Kamm und eine Nagelfeile
stecken. Es ist noch ein Geschenk Ernas, der Verräterin. Der Kamm ist aus
simuliertem Schildpatt. Eine Welle später Wut steigt in mir auf, als ich ihn
herausnehme. «Gib mir auch den Kamm», sagt Otto.
«Damit
kannst du nicht nach ihr hacken, du unschuldiger Satyr», erklärt Hungermann.
«Das ist keine Waffe im Kampf der Geschlechter. Er zerbricht an geballtem
Mänadenfleisch.»
«Ich
will damit nicht hacken. Ich will mich nachher damit kämmen.»
Hungermann
und ich sehen uns an. Bambuss scheint uns nicht mehr zu glauben. «Hast du ein
paar Verbandspäckchen bei dir?» fragt Hungermann mich.
«Die
brauchen wir nicht. Die Puffmutter hat eine ganze Apotheke.»
Bambuss
bleibt wieder stehen. «Das ist doch alles Unsinn! Aber wie ist es mit den
Geschlechtskrankheiten?»
«Es
ist heute Sonnabend. Alle Damen sind heute nachmittag untersucht worden. Keine
Gefahr, Otto.»
«Ihr
wißt alles, was?»
«Wir
wissen das, was zum Leben nötig ist», erwidert Hungermann. «Das ist gewöhnlich
etwas ganz anderes, als man in Schulen und Erziehungsinstituten lehrt. Deshalb
bist du so ein Unikum, Otto.»
«Ich
bin zu fromm erzogen worden», seufzt Bambuss. «Ich bin mit der Angst vor der
Hölle und der Syphilis groß geworden. Wie kann man da bodenständige Lyrik
entwickeln?»
«Du
könntest heiraten.»
«Das
ist mein dritter Komplex. Angst vor der Ehe. Meine Mutter hat meinen Vater
kaputtgemacht. Durch nichts als Weinen. Ist das nicht merkwürdig?»
«Nein»,
sagen Hungermann und ich unisono und schütteln uns darauf die Hand. Es bedeutet
sieben weitere Jahre Leben. Schlecht oder gut, Leben ist Leben – das merkt man
erst, wenn man gezwungen wird, es zu riskieren.
Bevor
wir in das traulich wirkende Haus mit seinen Pappeln, der roten Laterne und den
blühenden Geranien am Fenster eintreten, stärken wir uns durch ein paar
Schlucke Schnaps. Wir haben eine Flasche mitgebracht und lassen sie reihum
gehen. Sogar Eduard, der mit seinem Opel vorgefahren ist und auf uns gewartet
hat, trinkt mit; es ist selten, daß er etwas umsonst bekommt, und so genießt er
es. Der gleiche Schluck, den wir jetzt zu etwa zehntausend Mark Selbstkosten
das Glas trinken, wird in einer Sekunde im Puff vierzigtausend kosten – deshalb
haben wir die Flasche bei uns. Bis zur Türschwelle leben wir sparsam – danach
sind wir in den Händen der Madame.
Otto
ist anfangs stark enttäuscht. Er hat statt der Gaststube eine orientalische
Szenerie erwartet, mit Leopardenfellen, Moschee-Ampeln und schwerem Parfüm;
statt dessen sind die Damen zwar leicht bekleidet, nähern sich aber mehr dem
Dienstmädchentyp. Er fragt mich leise, ob es keine Negerinnen oder Kreolinnen
gäbe. Ich zeige auf ein dürres, schwarzhaariges Ding. «Die dort hat
Kreolenblut. Sie kommt frisch aus dem Zuchthaus. Hat ihren Mann ermordet.»
Otto
bezweifelt es. Er wird erst munter, als das Eiserne Pferd eintritt. Es ist eine
imposante
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