Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
Vom Netzwerk:
schnel­ler. Er will ihn nur im
Au­ge be­hal­ten, für den Fall ei­nes Fal­les. Wir las­sen Tim­pe im­mer so­viel Zeit,
daß er sei­ne Biere ver­quet­schen kann. Warum nicht? Nach­her kommt er dann zu­rück
wie ein Lamm.»
    Isa­bel­le
hat nicht zu­ge­hört. «Wo­hin will er?» fragt sie jetzt.
    «Er
will Bier trin­ken», sa­ge ich. «Wei­ter nichts. Wer auch so ein Ziel ha­ben
könn­te!»
    Sie
hört mich nicht. Sie sieht mich an. «Willst du auch weg?»
    Ich
schütt­le den Kopf.
    «Es
gibt nichts, um weg­zu­lau­fen, Ru­dolf», sagt sie. «Und nichts, um an­zu­kom­men.
Al­le Tü­ren sind die­sel­ben. Und da­hin­ter ...»
    Sie
stockt. «Was ist da­hin­ter, Isa­bel­le?» fra­ge ich.
    «Nichts.
Es sind nur Tü­ren. Es sind im­mer nur Tü­ren, und nichts ist da­hin­ter.»
    Der
Wär­ter schließt das Tor und zün­det sich ei­ne Pfei­fe an. Der wür­zi­ge Ge­ruch des
bil­li­gen Knas­ters trifft mich und zau­bert ein Bild her­vor: ein ein­fa­ches Le­ben,
oh­ne Pro­ble­me, mit ei­nem bra­ven Be­ruf, ei­ner bra­ven Frau, bra­ven Kin­dern, ei­nem
bra­ven Ab­die­nen der Exis­tenz und ei­nem bra­ven Tod – al­les als
selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­men, Tag, Fei­er­abend und Nacht, oh­ne Fra­ge, was
da­hin­ter sei. Ei­ne schar­fe Sehn­sucht da­nach packt mich einen Au­gen­blick, und
et­was wie Neid. Dann se­he ich Isa­bel­le. Sie steht am Tor, die Hän­de um die
ei­ser­nen Stä­be des Git­ters ge­legt, den Kopf dar­an ge­preßt, und blickt hin­aus.
Sie steht lan­ge so. Das Licht wird im­mer vol­ler und rö­ter und gol­de­ner, die Wäl­der
ver­lie­ren die blau­en Schat­ten und wer­den schwarz, und der Him­mel über uns ist
ap­fel­grün und voll von ro­sa an­ge­strahl­ten Se­gel­boo­ten.
    End­lich
dreht sie sich um. Ih­re Au­gen se­hen in die­sem Licht fast vio­lett aus.
    «Komm»,
sagt sie und nimmt mei­nen Arm.
    Wir
ge­hen zu­rück. Sie lehnt sich an mich. «Du mußt mich nie ver­las­sen.»
    «Ich
wer­de dich nie ver­las­sen.»
    «Nie»,
sagt sie. «Nie ist so kurz.»
    Der Weih­rauch wir­belt
aus den sil­ber­nen Kes­seln der Meß­die­ner. Bo­den­diek dreht sich um, die Mons­tranz
in sei­nen Hän­den. Die Schwes­tern kni­en in ih­ren schwar­zen Trach­ten wie dunkle
Häuf­chen Er­ge­bung in den Bän­ken; die Köp­fe sind ge­senkt, die Hän­de klop­fen an
die ver­deck­ten Brüs­te, die nie Brüs­te wer­den durf­ten, die Ker­zen bren­nen, und
Gott ist in ei­ner Hos­tie, von gol­de­nen Strah­len um­ge­ben, im Raum. Ei­ne Frau
steht auf, geht durch den Mit­tel­gang nach vorn bis zur Kom­mu­ni­on­bank und wirft
sich dort auf den Bo­den. Die meis­ten Kran­ken star­ren re­gungs­los auf das gol­de­ne
Wun­der. Isa­bel­le ist nicht da. Sie hat sich ge­wei­gert, in die Kir­che zu ge­hen.
Frü­her ist sie ge­gan­gen; jetzt, seit ei­ni­gen Ta­gen will sie nicht mehr. Sie hat
es mir er­klärt. Sie sagt, sie wol­le den Blu­ti­gen nicht mehr se­hen.
    Zwei
Schwes­tern he­ben die Kran­ke auf, die sich hin­ge­wor­fen hat und mit den Hän­den
den Bo­den schlägt. Ich spie­le das Tan­tum er­go. Die wei­ßen Ge­sich­ter der Ir­ren
he­ben sich mit ei­nem Ruck der Or­gel ent­ge­gen. Ich zie­he die Gam­ben und die
Vio­li­nen. Die Schwes­tern sin­gen.
    Die
wei­ßen Spi­ra­len des Weih­rau­ches wir­beln. Bo­den­diek stellt die Mons­tranz zu­rück
in das Ta­ber­na­kel. Das Licht der Ker­zen fla­ckert über den Bro­kat sei­nes
Meß­ge­wan­des, auf das ein großes Kreuz ge­stickt ist, und weht auf­wärts mit dem
Rauch zu dem großen Kreuz, an dem blut­über­strömt seit fast zwei­tau­send Jah­ren
der Hei­land hängt. Ich spie­le me­cha­nisch wei­ter und den­ke an Isa­bel­le und das,
was sie ge­sagt hat, und dann an die Be­schrei­bung der vor­christ­li­chen
Re­li­gio­nen, die ich ges­tern abend ge­le­sen ha­be. Die Göt­ter wa­ren da­mals hei­ter
in Grie­chen­land, sie wan­del­ten von Wol­ke zu Wol­ke, sie wa­ren leicht schur­kisch
und im­mer treu­los und wan­del­bar wie die Men­schen, zu de­nen sie ge­hör­ten. Sie
wa­ren Ver­kör­pe­run­gen und Über­trei­bun­gen des Le­bens in sei­ner Fül­le und
Grau­sam­keit und Un­be­denk­lich­keit und Schön­heit. Isa­bel­le hat recht: Der blei­che
Mann über mir mit dem Bart und den

Weitere Kostenlose Bücher