E.M. Remarque
schneller. Er will ihn nur im
Auge behalten, für den Fall eines Falles. Wir lassen Timpe immer soviel Zeit,
daß er seine Biere verquetschen kann. Warum nicht? Nachher kommt er dann zurück
wie ein Lamm.»
Isabelle
hat nicht zugehört. «Wohin will er?» fragt sie jetzt.
«Er
will Bier trinken», sage ich. «Weiter nichts. Wer auch so ein Ziel haben
könnte!»
Sie
hört mich nicht. Sie sieht mich an. «Willst du auch weg?»
Ich
schüttle den Kopf.
«Es
gibt nichts, um wegzulaufen, Rudolf», sagt sie. «Und nichts, um anzukommen.
Alle Türen sind dieselben. Und dahinter ...»
Sie
stockt. «Was ist dahinter, Isabelle?» frage ich.
«Nichts.
Es sind nur Türen. Es sind immer nur Türen, und nichts ist dahinter.»
Der
Wärter schließt das Tor und zündet sich eine Pfeife an. Der würzige Geruch des
billigen Knasters trifft mich und zaubert ein Bild hervor: ein einfaches Leben,
ohne Probleme, mit einem braven Beruf, einer braven Frau, braven Kindern, einem
braven Abdienen der Existenz und einem braven Tod – alles als
selbstverständlich hingenommen, Tag, Feierabend und Nacht, ohne Frage, was
dahinter sei. Eine scharfe Sehnsucht danach packt mich einen Augenblick, und
etwas wie Neid. Dann sehe ich Isabelle. Sie steht am Tor, die Hände um die
eisernen Stäbe des Gitters gelegt, den Kopf daran gepreßt, und blickt hinaus.
Sie steht lange so. Das Licht wird immer voller und röter und goldener, die Wälder
verlieren die blauen Schatten und werden schwarz, und der Himmel über uns ist
apfelgrün und voll von rosa angestrahlten Segelbooten.
Endlich
dreht sie sich um. Ihre Augen sehen in diesem Licht fast violett aus.
«Komm»,
sagt sie und nimmt meinen Arm.
Wir
gehen zurück. Sie lehnt sich an mich. «Du mußt mich nie verlassen.»
«Ich
werde dich nie verlassen.»
«Nie»,
sagt sie. «Nie ist so kurz.»
Der Weihrauch wirbelt
aus den silbernen Kesseln der Meßdiener. Bodendiek dreht sich um, die Monstranz
in seinen Händen. Die Schwestern knien in ihren schwarzen Trachten wie dunkle
Häufchen Ergebung in den Bänken; die Köpfe sind gesenkt, die Hände klopfen an
die verdeckten Brüste, die nie Brüste werden durften, die Kerzen brennen, und
Gott ist in einer Hostie, von goldenen Strahlen umgeben, im Raum. Eine Frau
steht auf, geht durch den Mittelgang nach vorn bis zur Kommunionbank und wirft
sich dort auf den Boden. Die meisten Kranken starren regungslos auf das goldene
Wunder. Isabelle ist nicht da. Sie hat sich geweigert, in die Kirche zu gehen.
Früher ist sie gegangen; jetzt, seit einigen Tagen will sie nicht mehr. Sie hat
es mir erklärt. Sie sagt, sie wolle den Blutigen nicht mehr sehen.
Zwei
Schwestern heben die Kranke auf, die sich hingeworfen hat und mit den Händen
den Boden schlägt. Ich spiele das Tantum ergo. Die weißen Gesichter der Irren
heben sich mit einem Ruck der Orgel entgegen. Ich ziehe die Gamben und die
Violinen. Die Schwestern singen.
Die
weißen Spiralen des Weihrauches wirbeln. Bodendiek stellt die Monstranz zurück
in das Tabernakel. Das Licht der Kerzen flackert über den Brokat seines
Meßgewandes, auf das ein großes Kreuz gestickt ist, und weht aufwärts mit dem
Rauch zu dem großen Kreuz, an dem blutüberströmt seit fast zweitausend Jahren
der Heiland hängt. Ich spiele mechanisch weiter und denke an Isabelle und das,
was sie gesagt hat, und dann an die Beschreibung der vorchristlichen
Religionen, die ich gestern abend gelesen habe. Die Götter waren damals heiter
in Griechenland, sie wandelten von Wolke zu Wolke, sie waren leicht schurkisch
und immer treulos und wandelbar wie die Menschen, zu denen sie gehörten. Sie
waren Verkörperungen und Übertreibungen des Lebens in seiner Fülle und
Grausamkeit und Unbedenklichkeit und Schönheit. Isabelle hat recht: Der bleiche
Mann über mir mit dem Bart und den
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